Schlangenhaus - Thriller
drei weitere Mitglieder der Gang gesehen hatte, schien das wahrscheinlich.
Sie folgten dem Verlauf der Hecke die Wiese hinunter. Ich ließ sie ein gutes Stück vorausgehen und folgte ihnen dann; die Chance, dass sie mich sehen würden, war gering, das wusste ich. Ich trug dunkle Kleidung, wie immer bei nächtlichen Einsätzen, und andere Lebewesen durch eine nächtliche Landschaft
zu verfolgen war etwas, was ich schon viele Male getan hatte.
Die Keechs waren ungefähr fünfzig Meter vor mir, als ich sah, wie einer von ihnen sich umwandte und etwas zu dem anderen sagte. Ich konnte nichts davon verstehen, doch etwas an ihren Bewegungen, an den heftig gestikulierenden Armen des Größeren ließ mich annehmen, dass sie stritten. Dann beugte sich der Größere vor und packte den anderen an der Schulter, und der Kleinere der beiden schien ein wenig in sich zusammenzusacken. Ich stellte fest, dass ich mir nicht mehr sicher war, dass das da die Brüder Keech waren. Keiner von ihnen schien sich wirklich so zu bewegen, wie junge Männer es tun.
Dann gingen sie in die Hocke, und ich tat es ihnen nach. Sie blickten den Hügel hinauf, in Richtung des Gutshauses, das jetzt ungefähr einen halben Kilometer entfernt war. Noch immer wehte der Wind heftig, blies stetig aus Nordosten, und um mich herum bebten die Bäume und wisperten miteinander. Das hohe Gras auf der Wiese bog sich mir wogend entgegen wie ein schnell dahinfließender Fluss.
Wie soll ich am besten beschreiben, was als Nächstes geschah? Es war, als befände ich mich mitten in einem breiten, raschen Strom. Wasser rauschte auf mich zu, wallte und wirbelte gelegentlich, floss jedoch größtenteils unablässig in dieselbe Richtung. So fühlte es sich an jenem Abend an, auf dieser vom Wind zerzausten Wiese zu sein. Dann bemerkte ich eine Querströmung in dem Fluss; sie war ein Stück weit entfernt, kam jedoch stetig näher. Nicht breiter als ein paar Meter, entwickelte sie doch unbändige Kraft, denn das Wasser, das sie mit sich führte, bewegte sich im rechten Winkel zur Fließrichtung des Stroms.
Ich sah zu, wie dieses Fließen aus – Wasser … Gras … was in aller Welt war das? – auf mich zukam, und wusste, dass fünfzig Meter entfernt zwei Männer es ebenfalls beobachteten.
Es konnte nur Wasser sein, ein Bach, der von irgendwoher
abgezweigt war. Nur war es kein Wasser, dessen war ich mir ziemlich sicher. Ich merkte, dass ich zitterte. Eigentlich dachte ich, ich hätte alles gesehen, was eine englische Landschaft bei Nacht zu bieten hat, dies hier jedoch war etwas vollkommen Neues. Und wie jedem anderen Tier auf dem Planeten machte das Unbekannte mir Angst.
Was war das? Ein Teil von mir wollte die Flucht ergreifen, der andere war fasziniert. Ich riskierte es, ein Stück vorwärtszukriechen. Wenn sie ihren Kurs nicht änderte, würde die Strömung an mir vorbeifließen, jedoch genau auf die beiden Männer treffen. Sie beobachteten sie wie gebannt, geduckt und bereit, irgendwie zu handeln, doch sie schienen keine Angst zu haben. Die Strömung war zehn Meter entfernt … acht … bewegte sich so schnell, wie ein Erwachsener zu Fuß ausschreiten würde … fünf Meter.
Schlangen … Dutzende … vielleicht Hunderte. Wie Luftschlangen aus der Hand eines Kindes wanden sie sich durch das hohe Gras. Ihre Leiber schimmerten glatt und feucht, glänzten im Mondlicht. Mit einer gemeinsamen Absicht, einem gemeinsamen Ziel, glitten sie dahin, getrieben von einem Instinkt, den ich nicht einmal annähernd begreifen konnte.
Es war ein Ringelnatterschwarm. Jungtiere, so dünn wie Bleistifte, krochen neben ausgewachsenen Schlangen von über anderthalb Metern Länge dahin. Bestimmt strebten sie zum Wasser, möglicherweise zum Fluss. Ich hatte von derlei Dingen gehört, war sogar einem alten Mann begegnet, der behauptete, einmal einen solchen Schwarm gesehen zu haben, doch bis jetzt hatte ich es nicht wirklich geglaubt.
Es war wunderschön, außergewöhnlich, großartig. Ich empfand dieses Erlebnis als ein so unglaubliches Privileg und verspürte gleichzeitig eine völlig unerwartete Traurigkeit. Wieso war niemand bei mir, um das hier auch zu sehen?
Doch es war sehr wohl jemand da. Ich teilte diese Erfahrung mit zwei Männern, vielleicht den Keech-Brüdern, vielleicht aber auch nicht. Wer immer sie waren, irgendwie bezweifelte
ich, dass sie hier waren, um die Wunder der Natur zu bestaunen.
Der Schwarm zog an mir vorüber, und ich sah zu, wie er weiter den Hügel
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