Schlangenhaus - Thriller
ungefähr dreieinhalb mal zwei Meter großen Becken schien tief zu sein. Die Kräuselwellen, die der Stein verursacht hatte, hatten sich aufgelöst, doch das Wasser regte sich weiter. Es hätte eine Brise sein können, die leise über die glänzende, ölähnliche Oberfläche strich; es hätten winzige Lebewesen sein können, die in seinen Tiefen atmeten. Ich hatte nicht vor, es herauszufinden. Etwas an dem Pfuhl, an der Art und Weise, wie er das steinerne Gewölbe der Kirche spiegelte, war ein wenig hypnotisch. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich hineinfallen könnte, wenn ich noch lange hier stand und hinabstarrte.
Mit einiger Mühe hob ich den Blick. Und sah, wie sich der Wandbehang im vorderen Teil der Kirche bewegte, leise schwankte, als habe ein sanfter Windhauch ihn erfasst. Hatte
ich jemanden gesehen, nur Sekunden zuvor? Ich meinte den Umriss eines hochgewachsenen Mannes vor den hohen Bogenfenstern erkannt zu haben. Doch im vorderen Teil der Kirche rührte sich nichts. Sogar der Wandbehang war zur Ruhe gekommen. Sollte ich nicht besser von hier verschwinden?
Ich ging um das Becken herum und stieg die drei Stufen zur Kanzel hinauf. Nichts zu sehen. Nichts zu hören, außer dem Wind draußen und den winzigen Geschöpfen, die noch immer über mir herumwirbelten. Abermals trat ich vor, schaute nach rechts und links, auf der Hut, falls irgendetwas hinter dem Chorstuhl hervor auf mich losspringen sollte. Ein rascher Blick hinter den Altar – nichts –, und dann streckte ich die Hand nach dem Wandbehang aus.
Er verbarg eine Tür. Stabil, aus Eisen und Holz gemacht und tief in einen steinernen Rahmen eingelassen, war es wahrscheinlich die Tür zur Sakristei, möglicherweise auch zum Turm, und ich wunderte mich darüber, dass ich noch nicht darauf gekommen war, danach zu suchen.
Die Sakristei ist ein Raum in der Kirche, der dazu dient, Mess- und Priestergewänder sowie andere Utensilien für den Gottesdienst zu verwahren. Oft wird er auch für Versammlungen des Gemeinderates genutzt; viele Pfarrer benutzen ihn als Büro. Langsam streckte ich die Hand nach dem eisernen Drehring aus und wusste, dass ich im Begriff war, etwas zu tun, das man durchaus für sehr dumm halten konnte. Ich packte fest zu und drehte. Der Ring bewegte sich unter meiner Hand.
Hatte ich wirklich jemanden beim Altar gesehen? Und wenn ja, wo war derjenige jetzt?
Der Ring ließ sich eine Vierteldrehung nach rechts bewegen und nicht weiter. Wenn die Tür nicht abgeschlossen war, brauchte ich nur dagegen zu drücken, und sie würde sich von selbst öffnen.
Hatte ich meinen betagten Einbrecher von gestern Nacht gesehen? Sosehr dieser Gedanke mein Herz auch schneller
schlagen ließ, ich glaubte nicht daran. Es war jemand Größeres gewesen. Ich hob den Kopf und sog prüfend die Luft ein. Inzwischen gewöhnte ich mich allmählich an den Gestank der Fledermauskolonie. War sonst noch etwas zu riechen? Der unangenehme Geruch eines Landstreichers, der mir gestern Nacht bei mir zu Hause aufgefallen war? Nein. Das nicht. Aber trotzdem irgendetwas. Ganz schwach. Gerade eben noch… Pfeifenrauch?
Ich drückte gegen die Tür und stieß auf festen Widerstand. Also versuchte ich es noch einmal. Dasselbe. Die Tür war abgesperrt. Von einem Schlüsselloch war nichts zu sehen, was bedeutete, dass sie von innen verriegelt sein musste. Hilflose Wut siegte über Beklommenheit, und ich stellte fest, dass ich wissen wollte, was hinter dieser Tür war. Und Sakristeien hatten oft Außentüren; diese boten dem Pfarrer einen einfacheren Weg hinaus und ersparten ihm die Mühe, jedes Mal das große, schwere Kirchenportal öffnen zu müssen.
Ich verließ die Kirche, schritt rasch den Mittelgang hinunter und zur Vordertür hinaus. Dann machte ich die Taschenlampe aus und suchte mir einen Weg um das Gebäude herum zur Südseite. Dabei hielt ich mich dicht an der Mauer, bewegte mich langsam und wusste, dass, falls irgendjemand hier war, ihm meine Anwesenheit nur allzu deutlich bewusst sein würde.
Die Wände einer Kirche verlaufen nur selten gerade. Was sich an diesem Abend zu meinen Gunsten auswirkte, denn es gab etliche Nischen und Ecken, um darin innezuhalten und zu lauschen, bevor ich mir sicher war, dass ich ungefährdet weiterhuschen konnte. Wahrscheinlich dauerte es nur fünf Minuten, mich vom Hauptportal der Kirche bis zu der kleineren Sakristeitür vorzuarbeiten, von der ich wusste, dass sie da sein würde, doch es kam mir viel länger
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