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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Wo hatte ich nur meinen Verstand gelassen?
    Ich hörte ein leises, kratzendes Geräusch zu meiner Linken und fuhr herum. Winzige Augen starrten mich an, bevor kleine Füße davonhuschten. Mit einer Ratte kam ich klar. Womit ich vielleicht nicht klarkommen würde, war die dunkle Silhouette, die am Eingang des Tunnels stand, sich hinhockte, hineinspähte. Ich rührte mich nicht; ich glaube, ich hörte sogar auf zu atmen. Sein Kopf bewegte sich vor und zurück, während er in die Finsternis starrte. Er hatte mich nicht gesehen. Ein Lichtstrahl flammte auf und schien mir direkt in die Augen.
    Die Gestalt hinter der Taschenlampe lachte leise. Es war Nathan. Kein Grund, länger stehen zu bleiben.
    Ich stürmte los und wusste, dass ich nur Sekunden hatte. Nein, hatte ich nicht. Eine zweite Silhouette versperrte den Ausgang. Während ich zurücktaumelte, griff ich mit beiden Händen zur Seite, um mich an den Tunnelwänden festzuhalten. Meine rechte Hand fand Halt, die andere nicht. Mein linker Arm griff in klaffende Leere, wo die Wand des Tunnels hätte sein sollen. Ich schaltete die Taschenlampe wieder ein. Hier waren die Ziegelsteine, mit denen der Tunnel ausgekleidet war, abgefallen und gaben den Blick auf einen zweiten Tunnel frei, kleiner als der, in dem ich mich befand, aber ebenfalls teilweise mit fließendem Wasser gefüllt. Dieser neue Tunnel war kein gemauerter Flusszulauf, sondern eine sehr viel gröbere Zuleitung, die aus dem Felsen gehauen worden war. Der Lampenstrahl erreichte das Ende des Tunnels nicht, und ich hatte keine Ahnung, wie lang er war.

    Okay, was war das Schlimmste, was sie mit mir machen konnten? War es wirklich wahrscheinlich, dass sie mich ermorden oder mir etwas antun würden – in dem Dorf, in dem wir alle wohnten, keine hundert Meter von den Häusern entfernt? Logisch betrachtet konnte ich das nicht glauben. Es war lächerlich, sich so zu verstecken, wie ich es tat, sich wie eine Kanalratte im Dunkeln herumzudrücken.
    Demütigungen, das war bestimmt das Schlimmste, was ich zu befürchten hatte, wenn sie mich zu fassen bekamen. Und damit konnte ich umgehen. Weiß der Himmel, darin war ich Expertin. Es würde bald vorbei sein und sie würden mich laufen lassen. Sie konnten mir nichts antun, was ich nicht schon viele Male erlebt hatte.
    »Hey, Clara«, rief eine Stimme unter der Brücke in gekünstelt hohem Tonfall und zog dabei die letzte Silbe so in die Länge, dass sie im Tunnel widerhallte. Am anderen Ende des Tunnels nahm jemand den Ruf auf. »Claraaa. Claraaa.«
    Ein Junge heulte wie ein Hund. Dann begann er zu hecheln. Noch jemand fiel in den Singsang ein, mit dem mein Name gerufen wurde, leise und beharrlich, wie ein Trommelrhythmus. Ich sah, wie eine der Gestalten einen Schritt in den Tunnel machte. Am anderen Ende, meinem ehemaligen Fluchtweg, tat sein Partner es ihm nach. Sie warteten nicht darauf, dass ich aufgab; sie kamen herein, um mich zu holen. Was immer sie vorhatten, würde hier geschehen, unter der Erde. Plötzlich sah es so aus, als wären Demütigungen doch nicht das Schlimmste, was ich zu befürchten hatte. Einzig von dem Instinkt getrieben, verborgen zu bleiben, bückte ich mich tiefer und huschte in den zweiten Tunnel.
    Mit leiser Befriedigung hörte ich das erstaunte Gemurmel, das ich hinter mir zurückließ. Der unterirdische Zulauf mochte der Bande bekannt gewesen sein; von diesem Tunnel jedoch hatten sie nichts gewusst. Doch ich musste weiter, musste außer Sicht sein, wenn sie den Eingang erreichten. Ich hielt eine Hand über meinen Kopf, um ihn vor der sehr unebenen Decke
zu schützen und hielt die Hand mit der Taschenlampe vor mir ausgestreckt. Und eilte dann in die Finsternis hinein, so schnell es in Anbetracht der Tatsache möglich war, dass ich tief gebückt gehen musste und durchs Wasser watete.
    Obwohl ich immer mehr in Panik geriet, fiel mir auf, dass dies hier keine natürliche Felsspalte war. Wenn der Strahl der Taschenlampe auf die Wände traf, konnte ich die Spuren von Spitzhacken und Kratzer sehen, wo der Stein bearbeitet worden war. Immer wieder schrammte meine Hand an der Decke entlang, und feiner, pudriger Staub rieselte um mich herum. Ich befand mich in einer der alten Kalkminen. Wohin genau der Weg allerdings führte, war eine ganz andere Frage. Wie weit würde ich fliehen müssen, ehe sie aufgaben? Wie lange würde ich mich unter der Erde herumdrücken müssen, bevor ich es wagte, wieder hervorzukriechen?
    Hinter mir konnte ich Stimmen hören,

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