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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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quälen. Mum war der Grund dafür, dass ich Tierärztin geworden war. Schon in sehr jungen Jahren merkte ich nämlich, wie sehr sie sich vor Tieren fürchtete. Das Tauziehen zwischen uns, wenn wir einem Hund begegneten, war fast komisch; Mum versuchte, mich wegzuzerren, und ich bemühte mich, näher an das Tier heranzukommen. Ich hörte damit auf, als Vanessa, eine gehässige Zehnjährige, eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit, mit der das versehrte Kind überschüttet wurde, mir ganz genau erklärte, wieso ich so aussah, wie ich aussah.
    Zu diesem Zeitpunkt jedoch war aus meinen kleinlichen, instinktiven Racheakten schon echtes Interesse geworden. Einen Sommer verbrachte ich auf einem Reiterhof in der Nähe und lernte die Namen sämtlicher Knochen und Muskeln des Pferdekörpers auswendig. Ich machte mich mit dem Tierarzt
bekannt, der die Bauern in unserer Gegend betreute, und durfte ihn hin und wieder auf seinen Visiten begleiten. Gemeinsam mit Vanessa richtete ich eine Wildtierklinik in unserem Gartenschuppen ein und pflegte einen stetigen Strom verletzter Nagetiere und verlassener Jungvögel gesund. Als es schließlich ans Studieren ging, hatte ich so viel Vorwissen und praktische Erfahrung, dass ich von jeder Uni, bei der ich mich beworben hatte, eine Zusage bekam. Und das alles verdankte ich meiner Mutter, die in einem Moment der Achtlosigkeit mein Leben zerstört hatte und für den Rest ihres Lebens versuchte, dies wiedergutzumachen.

    Mir fielen von Neuem die Augen zu. Als ich sie das nächste Mal öffnete, war das Licht vor dem Fenster silbern und eine Singdrossel ließ jeden, der es hören wollte, wissen, dass mein Garten ihr Territorium war und dass sich jeder andere lieber verziehen sollte. Es war Viertel vor fünf am Donnerstagmorgen, und es dämmerte schon fast.

33
    Ich fand Violets nackten Leichnam auf dem Doppelbett in der Mitte des Zimmers. Ein ausgeblichenes rosafarbenes Nachthemd lag auf dem abgetretenen Teppich am Fußende des Bettes. Ich sah nicht wirklich hin, doch mir war, als sei es zerrissen. Unfähig, den Blick von der reglosen Gestalt auf dem Bett abzuwenden, stand ich in der Tür.
    Ich hatte nicht gewusst, dass sie so klein war. Sie sah fast aus wie ein Kind, wie sie so dalag, ein Kind, dessen Haut schlaff und von bläulichen Adern durchzogen war.
    Selbst von der Tür aus konnte ich sehen, dass ihre letzten Momente nicht leicht gewesen waren. Das Gewebe über ihrer rechten Brust war geschwollen und die teigbleiche Haut hatte angefangen, sich rot und violett zu verfärben. Die Schwellung hatte Zeit gehabt, sich auszubreiten: Der obere Teil ihres rechten Armes sah dicker aus als der linke. Eine dünne Blutspur wies den Weg zu der Wunde dicht unterhalb ihres Schlüsselbeins. Neben ihrem Kopf lag ein Kissen mit dem Erbrochenen, das noch immer ihre Wange verschmierte. Hatte jemand ihr aus Angst, dass das Gift in ihren Adern nicht schnell genug wirkte, das Kissen aufs Gesicht gedrückt, um das Ganze zu beschleunigen?
    Ihr dünnes, weißes Haar war dunkel und nass vor Schweiß, und ihre glockenblumenfarbenen Augen standen offen. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was sie als Letztes gesehen hatten. Ich ging zu ihr hinüber. Mir war, als bewege ich mich durch Nebel, das Bett schien so weit weg zu sein. Natürlich kannte ich die Regeln: nichts anfassen, die Polizei rufen –, doch das war mir egal. Ich würde ihr die Augen schließen und irgendetwas finden, um sie damit zuzudecken. Rosafarbener
Schaum war um ihren Mund herum zu sehen; sie hatte Blut gehustet. Ich streckte die Hand aus, erinnerte mich daran, wie weich ihre Haut war und wappnete mich dagegen, wie kalt sie sich anfühlen würde. Dann strich ich mit den Fingern über ihre Schläfen, fühlte, wie die Wimpern stachelig meine Haut streiften.
    Warm!
    Der Nebel war verschwunden und ich war in Bewegung, schneller als jemals zuvor, suchte ihren Körper nach dem allerwinzigsten Lebenszeichen ab. Meine rechte Hand zuckte zu ihrem Hals hinauf, um nach dem Puls zu tasten. Dann senkte ich den Kopf, um auf ein Atemgeräusch zu lauschen.
    Nichts.
    Ich suchte mein Handy, tippte die dreistellige Nummer und beantwortete die Fragen; ich wusste, dass sie notwendig waren, doch es schien eine Ewigkeit zu dauern. Endlich begann ich mit der Herzdruckmassage, die Hände direkt über dem Brustbein ineinander geballt. 12, 13, 14 … als ich bei 30 war, hielt ich inne, bog ihren Kopf zurück, überprüfte die Atemwege. Zweimal beatmen, dann pumpte ich von

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