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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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wartet im Vorraum auf sie. Sie bäumt sich einen halben Meter auf, und ihr Körper bildet ein vollendetes S. Ruby hat noch Zeit, zu denken, wie schön das Tier ist, bevor sie zustößt.

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    »Danke«, sagte ich. »Danke, dass Sie es mir erzählt haben.«
    Ich saß auf Rubys Bett, dicht neben ihrem Sessel. Ihre rechte Hand umklammerte die Armlehne, die linke lag in meiner. Ich hoffte, dass die schlichte Berührung eines anderen Menschen das Zittern vielleicht lindern könnte.
    »Ich dachte, ich würde verbrennen«, sagte Ruby. »Das Feuer war überall. Alle haben geschrien und sind herumgerannt. Niemand ist stehen geblieben und hat mir geholfen. Ich hatte schreckliche Schmerzen, aber ich musste ganz allein hinauskriechen.«
    »Sie müssen furchtbare Angst gehabt haben.« Ich antwortete rein automatisch und dachte dabei angestrengt nach. Ulfred war in jener Nacht doch ertrunken, und das halbe Dorf hatte dabei mitgemacht.
    Ein charismatischer, aber erheblich gestörter Mann war ins Dorf gekommen und hatte mit seinen Furcht einflößenden Predigten die Menschen von ihm abhängig gemacht. Der Gemeinde – zum größten Teil normale, anständige Menschen – war diese Abwechslung nur recht gewesen, und sie war ihm gefolgt auf einem Pfad, der zunächst unverfänglich erschienen war: Gottesdienste, die ein wenig aufregender waren; Praktiken, die vielleicht unkonventionell sein mochten, jedoch gewiss harmlos waren. Und nach und nach war dieser Pfad immer düsterer geworden, hatte Wendungen genommen, mit denen keiner von ihnen gerechnet haben konnte.
    Am letzten Abend hatte erzwungenes Fasten – und, darauf war ich bereit, zu wetten, halluzinogene Drogen – die finstersten Winkel der menschlichen Natur zum Vorschein gebracht. Und selbst dann war, wie ich so dankbar erfahren hatte, bei
vielen die Menschlichkeit stärker gewesen. Mehrere Mitglieder der Kirchengemeinde hatten an jenem Abend versucht, Ulfred zu retten. Andere, wie Ruby, die nicht gewagt hatten, sich einzumischen, waren am Ende entsetzt gewesen.
    Ich wunderte mich nicht länger, warum diejenigen, die sich an den 15. Juni 1958 erinnerten, nicht darüber sprechen wollten. Wäre ich an diesem Abend in der Kirche gewesen, so würde ich ihn auch aus meinem Gedächtnis löschen wollen. Ich wusste, warum Walter mich angelogen hatte. Er wusste sehr wohl, was seine Brüder und seine Frau dem schutzlosesten Mitglied ihrer Familie angetan hatten – es war leichter, viel leichter, einfach so zu tun, als wäre Ulfred fortgebracht worden, damit man ihm helfen konnte.
    Rubys Hand zitterte noch immer, und die Nachmittagsluft, die durch das offene Fenster hereindrang, wurde kälter. »Kann ich Ihnen vielleicht eine Strickjacke holen?«, erkundigte ich mich. Sie sah mich an, und ihr Blick huschte davon. »Was ist passiert?«, fragte sie. »War das eine Schl-« Sie stockte. Es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, was sie meinte.
    »Nein«, antwortete ich. »Das war keine Schlange.«
    Ruby streckte die Hand aus und berührte die linke Seite meines Gesichts. Ich machte keinen Versuch, sie daran zu hindern. »Ich habe nie geheiratet«, meinte sie. »Es hat sich im Dorf herumgesprochen, wie schlimm ich verunstaltet war … dort unten. Nach dem Krieg gab es reichlich Mädchen und nicht genug Männer. Es waren die Hübschen, wie Violet und Edeline, die die Männer gekriegt haben.«
    Ruby ließ die Hand sinken.
    »Meine Mutter hat getrunken«, sagte ich. »Sie war die Frau eines Erzdiakons, aber trotzdem – wahrscheinlich deswegen – hat sie getrunken. Sie hat eine Weile aufgehört, als sie mit mir schwanger war, aber dann ist sie einfach nicht damit zurechtgekommen, mit zwei kleinen Kindern zu Hause zu hocken. Eines Nachmittags waren wir im Wohnzimmer, sie, meine Schwester und ich. Ich war noch ein Baby, noch nicht mal
ein Jahr alt. Meine Mutter hat mich auf den Teppich gelegt, vor den Kamin. Sie hatte sich schon vormittags etwas eingeschenkt, und dann … ist sie einfach eingeschlafen.«
    Rubys Augen blickten unverwandt in meine. Sie schien sich etwas beruhigt zu haben, aber ihre Hände hatten nicht aufgehört zu zittern.
    »Ich glaube, Vanessa hat eine Weile mit mir gespielt, und dann ist es ihr langweilig geworden. Sie ist ins Nebenzimmer gegangen.«
    Draußen hatte der Himmel, vor einer Stunde noch so blau, die merkwürdige gelbliche Färbung angenommen, die einem Gewittersturm stets vorausgeht.
    »Und dann sind die beiden Jack Russell Terrier meiner Mutter aus der

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