Schlangenhaus - Thriller
der Wagen von schweren Windböen erschüttert. Zehn Minuten vergingen, und kein Polizeiauto kam, um mich abzuholen. Allmählich fielen mir die Augen zu. Endlich würde alles vorbei sein. Natürlich gab es noch Ungereimtheiten, doch das konnte die Polizei erledigen. Das war nicht meine Aufgabe, war nie meine Aufgabe gewesen. Ich konnte zu dem Leben zurückkehren, das ich kannte, konnte verwundete
Tiere zusammenflicken und mein Gesicht vor meinen Artgenossen verbergen.
Das ist alles, was es ist, wissen Sie, eine Narbe.
Ich bin froh, dass Ihnen nichts passiert ist. Bis bald.
Langsam öffnete ich die Augen. Ich hatte fünfundzwanzig Jahre damit zugebracht, eine Barriere um mich herum zu errichten, so stark und undurchdringlich wie eine Festung. Und die Ereignisse der letzten Tage hatten sie gesprengt wie eine Dynamitladung, die unter einer Sandburg hochgeht. Fünfundzwanzig Jahre Versteckspielen mit dem Leben, und endlich hatte es mich gefunden. Nein, es hatte mehr getan als das. Es hatte mich im Nacken gepackt und mich schreiend und um mich schlagend ins Sonnenlicht hinausgezerrt. Und jetzt… würde ich wieder in den Schatten zurückschleichen?
Zwanzig Minuten waren vergangen, seit Matt aufgelegt hatte, und noch immer war nichts von dem Streifenwagen zu sehen. Die Polizei hatte bei diesem Sturm wahrscheinlich eine Menge zu tun. Sie würden schon bei mir eintrudeln.
Ich klappte die Sonnenblende über dem Fahrersitz herunter und schob die Abdeckung zurück, um in den Spiegel zu schauen, den ich noch nie benutzt hatte. Und ich betrachtete mein Gesicht, lange, ausführlich und gründlich, wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben.
Allzu schlimm war es gar nicht. Ich war nicht gerade umwerfend (trotzdem vielen Dank, Sean), und hübsch war ich auch nicht (aber es ist lieb, dass Sie das sagen, Violet), doch die Realität stand wirklich in keinerlei Verhältnis zu dem entstellten Ungeheuer, das ich mir in meinem Kopf zurechtgebastelt hatte. Es war zehn Jahre her, seit ich das letzte Mal mit einem plastischen Chirurgen gesprochen hatte; wer weiß, vielleicht konnten sie ja doch noch mehr für mich tun. Und ich würde mir etwas Anständiges zum Anziehen kaufen, etwas, worin vielleicht auch Matts Tante Mildred tot über dem Zaun hängen würde. Mittlerweile lächelte ich mein Spiegelbild definitiv an, noch etwas, das ich noch nie getan hatte. Vielleicht
könnte ich mir ein bisschen Make-up zulegen. Verdammt, ich würde sogar bei Seans Probeaufnahmen mitmachen.
Ein Klopfen am Wagenfenster ließ mich zusammenfahren. Ich drehte mich um und hoffte, einen uniformierten Constable zu erblicken. Innerlich fürchtete ich, dass es Tasker sein würde, auch wenn er mir nichts mehr anhaben konnte. Was ich sah, war ein dünner alter Mann, der einen nassen blauen Anorak über einem dunklen Anzug trug. Dünne Haarflusen klebten ihm im Gesicht. Ich beugte mich hinüber und öffnete die Beifahrertür.
»Clara!«, sagte der Mann und blinzelte mich an. »Ist Ihnen klar, dass die halbe Grafschaft nach Ihnen sucht?«
Ich drehte mich um, um abermals den blauen Fiesta zu betrachten, der ganz in der Nähe parkte. Hätte ich den Wagen mehr als nur eines flüchtigen Blickes gewürdigt, als ich gekommen war, dann hätte ich ihn vielleicht erkannt. Schließlich befand ich mich auf einem Kirchenparkplatz. Zweifellos hatte Reverend Percival Stancey einen seiner Kollegen besucht.
»Warum haben Sie mich angelogen?«, fragte ich, richtete mich auf und starrte ihm unverwandt in die Augen. Ich hatte den kleinen, schwarzgekleideten Mann immer liebenswürdig gefunden, altmodisch vielleicht, vielleicht auch ein wenig ichbezogen, im Grunde jedoch hatte ich ihn für einen guten Menschen gehalten. Jetzt nicht mehr. »Warum haben Sie gesagt, Sie wären 1958 noch nicht hier gewesen? Sie waren in der Kirche, an dem Abend, an dem sie abgebrannt ist. Ruby hat es mir gerade erzählt. Sie hat Sie gesehen, Sie haben hinten in der Kirche gesessen.«
Reverend Percival Stancey seufzte. »Ich glaube, der Regen lässt nach«, meinte er. »Könnten wir einen kleinen Spaziergang machen, meine Liebe?«
Ich stieg aus und suchte meine Jacke hervor. Eigentlich fand ich ganz und gar nicht, dass der Regen nachließ, ganz im Gegenteil sogar, doch ich stellte fest, dass es mir nichts ausmachte. Percy winkte mir, ihm über den Kies zur Klippe
vorauszugehen. Ich machte mich auf den Weg und überlegte, ob ich wohl doch noch mehr erfahren konnte.
»1958 war ich noch Vikar«, sagte
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