Schlangenhaus - Thriller
klammerte mich fest und griff nach einem anderen Zweig, ein kleines Stück weiter. Mich an einem Ast nach dem anderen festhaltend, hangelte ich mich mitsamt dem Boot unter den dichten Weidenschirm und machte die Bugleine an einem Baum fest.
Nach Luft ringend versuchte ich, mich zu orientieren. Das Ufer war steil, der blasse Schein des Kalksteins vom Pflanzenwuchs verborgen. Dicke Weiden und seltene Schwarzpappeln wuchsen so dicht am Wasser, dass es schien, als wollten sie jeden Moment hineinstürzen. Ich musste herausfinden, wo ich war. Also suchte ich die Lampe und leuchtete um mich.
Ich befand mich ungefähr hundert Meter von dem Steilhang aus Kalkstein entfernt, auf dem das Haus der Witchers stand. Das Ufer war dicht mit Ginster, Haselsträuchern und Brombeerbüschen bewachsen. Dort zu Fuß durchzukommen, wäre fast unmöglich. Mich an den Fluss zu halten, war die einzige Möglichkeit.
Was nicht leicht sein würde. Das Gelände stieg jetzt an, und das Wasser floss schnell. Als ich die Lampe auf das Ufer richtete, konnte ich Schrammen an den Felsen erkennen, die aussahen, als wären sie mit primitiven Werkzeugen gemacht worden. Vielleicht, dachte ich bei mir, befand ich mich gar nicht auf einem natürlichen Wasserlauf, sondern in einer der alten Kalkgruben.
Das Boot von hier aus weiter stromaufwärts zu paddeln, war unmöglich. Ich würde waten müssen. Ich griff nach einer
Baumwurzel, um mich festzuhalten und stieg ins Wasser, das mir bis zur Hüfte reichte. Dann machte ich die Leine des Bootes von dem Baumstamm los und zog sie mir über den Kopf und eine Schulter. Wenn ich schnell das Weite suchen musste, wäre das Boot ganz sicher eine große Hilfe. Es fiel mir zwar schwer, die Taschenlampe auszuschalten, doch ich durfte auf gar keinen Fall gesehen werden.
Ich machte mich auf den Weg. Seit dem Abend, an dem ich den Höckerschwan hatte rufen hören, so nahe am Grundstück der Witchers, wusste ich, dass dort ganz in der Nähe Wasser sein musste. Wasser, von dem anscheinend niemand sonst wusste. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ich diese Erkenntnis mit dem ungewöhnlichen Zufluss in den Nebenarm des Liffin in Verbindung brachte, den ich nun durchwatete. Es war einer der vielen Wasserläufe, der hier wieder unter der Erde hervorkam.
Mit einem Mal wurde das Flussbett steiler. Keine zwanzig Meter von mir entfernt stand das Haus der Witchers, gefährlich nahe am Rand des Steilhangs. Und aus diesem Blickwinkel konnte ich etwas erkennen, wovon niemand im Dorf wusste: Ungefähr fünf Meter unterhalb des Hauses klaffte in dem Hang ein gewaltiges, gähnendes Loch, aus dem der Fluss schwarz und schäumend hervorströmte.
Dieses Haus hätte schon vor Jahren abgerissen werden sollen, dachte ich, als ich näher kam. Nicht nur stand es erschreckend dicht am Rand eines instabilen Abhangs, sondern auch noch direkt über den alten Minen, die anscheinend die Fundamente des ganzen Dorfes durchzogen.
Zu meiner Rechten waren Felsen in den Fluss gestürzt, und ich konnte etwas erkennen, das wie ein schmaler Pfad aussah, der vom Wasser weg ins Unterholz führte. Ich blieb einen Augenblick stehen und betrachtete die schlammige Spur. Waren das Fußabdrücke, vom Regen beinahe völlig fortgewaschen? Es war schwer auszumachen, und ich konnte keine Zeit damit verschwenden, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, ob dies
hier ein weiterer Zugang zu dem Grundstück war. Ich marschierte weiter, und mit jedem Schritt wurde die gähnende Höhle, die in die tiefsten Eingeweide des Hauses führte, größer.
Das Wasser wurde flacher, und das Ziehen in meinen Schenkelmuskeln verriet mir, dass ich ziemlich steil bergauf stieg. Ich hatte ein unheimliches Gefühl. Irgendetwas, das gleich jenseits der Finsternis auf der Lauer lag, wartete auf mich. Und es wusste, dass ich näher kam.
Zum ersten Mal, seit ich, angetrieben von der Stimme in meinem Kopf, aus dem Gutshaus gelaufen war, dachte ich über das nach, was vor mir lag. Was mochte in dem alten Haus der Witchers auf mich warten – in dem Schlangenhaus, wie ich es inzwischen im Stillen nannte?
Ulfred Dodwell war gemieden und von seinen Mitmenschen gefürchtet worden. Er war verspottet und schikaniert und schließlich auf grauenvolle Weise misshandelt worden. Als junger Mann war er in eine Anstalt gekommen und dort fünfzig Jahre geblieben. Selbst nachdem er einen großen Teil seines Augenlichts zurückgewonnen hatte und in der Lage gewesen war, mit den Menschen um ihn herum zu
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