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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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kommunizieren, war er anderen Leuten aus dem Weg gegangen und hatte stattdessen Trost bei wilden Tieren gesucht. Er hatte ganz bewusst die Gesellschaft von Lebewesen gesucht, die ebenso verschwiegen, missverstanden und gefürchtet waren wie er selbst.
    Ich musste davon ausgehen, dass der Mann, dem ich bald gegenübertreten würde, keine Vorstellung von Moral hatte. Dass er gelernt hatte, alle im Dorf, einschließlich mich, als seine Feinde zu betrachten. Und ich durfte ihn mir auch nicht als alten Mann vorstellen. Männer büßen nicht ihre ganze Kraft ein, wenn sie siebzig werden. Ulfred würde sowohl stark als auch schlau sein. Er war in den alten Minen und Kanälen herumgekrochen. Er konnte sich lautlos bewegen, konnte bestimmt im Dunkeln gut sehen. Er besaß eine seltsame, unerklärliche
Macht über Schlangen. Er war ein Geschöpf der Nacht.
    Ich erreichte die Böschung. Noch ein paar Schritte, und ich würde in die von Menschenhand geschaffene dunkle Höhle vordringen, die unter dem Haus lag. Wagte ich es?
    Ich zerrte mir die Schleppleine von der Schulter. Wenn ich jetzt ins Boot sprang, würde der Fluss mich rasch zurücktragen, in Sicherheit. Doch ich wusste, dass die Stimme in meinem Kopf, die so lange stumm geblieben war, nur darauf wartete, sofort wieder zum Leben zu erwachen, wenn ich zögerte. Sie würde mir sagen, dass ich mit Ulfred fertig werden könne. Dass ich jung und stark sei und wisse, wie man sich im Dunklen bewegt. Schließlich und endlich war ich selbst ein Geschöpf der Nacht. Ich trat in den Schatten der Höhle, und die Finsternis verschluckte mich.

49
    Für Sekunden, die mir unendlich lang vorkamen, umgab mich Finsternis, so undurchdringlich wie Felsgestein. Fast konnte ich sie spüren, wie sie nach mir griff, mein Gesicht berührte. Dann, viel zu langsam, veränderte sich allmählich ihre Intensität, sie schmolz zu Formen. Die Höhle, jetzt, wo ich darin stand wenig mehr als eine Felsspalte, dehnte sich vor mir, reichte tief in den Steilhang hinein. Ich schaute nach oben; die Felsdecke befand sich ungefähr einen Meter über meinem Kopf, bildete einen schmalen Kalksteinbaldachin, der das Haus trug. Rechts von mir bot sich ein grob abgeflachter Stein als Landungssteg an, und dahinter konnte ich eine Leiter erkennen sowie einen kleinen Eisenring, der in den Felsen geschlagen worden war. Irgendjemand hatte hier unten ein Boot liegen.
    Direkt am Höhleneingang wuchs dichtes Holunder- und Brombeergebüsch. Ich kniete mich hin und fand einen Ast, der stark genug war, um das Boot daran festzumachen. Dann zog ich Brombeerranken darüber, bis es fast völlig bedeckt war. Jemand, der im Dunkeln hier ankam, im strömenden Regen, würde es vielleicht nicht sehen.
    Die Leiter, die an der Wand der Felsspalte lehnte, war ein verrostetes, uraltes Eisending. Sie sah aus, als wäre sie früher einmal in einer Mine benutzt worden. Im Abstand von sechzig Zentimetern waren Sicherheitsbügel angebracht gewesen; sie waren zwar schon längst abgebrochen, aber die Stümpfe waren noch vorhanden. Einen guten halben Meter über mir war eine hölzerne Falltür in die Felsdecke eingelassen worden. Ängstlich bemüht, nur ja kein Geräusch zu machen, griff ich nach der Leiter. Vielleicht ließ sie sich ja unter die Falltür klemmen. Zum Glück war die Öffnung größer als die Falltür
selbst, und der Rand der Leiter glitt leicht in die Lücke zwischen Fels und Holz. Ich prüfte ihre Tragfähigkeit und begann, hinaufzusteigen.
    Oben drückte ich das Gesicht an die Falltür und stellte fest, dass sie viel wärmer war, als ich es erwartet hätte. Ich konnte nichts hören. Vorsichtig fuhr ich mit der Hand darüber, bis ich einen kleinen Eisenknauf fand, und drehte ihn. Die Tür kippte mir entgegen. Ich ließ sie herabschwingen. Dann kletterte ich hinauf.
    Ohne auf den Gestank zu achten, zog ich die Taschenlampe hervor und schaltete sie ein. Ich leuchtete um mich, überprüfte jede Ecke, jeden Schatten, maß in Gedanken den Raum und hielt Ausschau nach Verstecken, nach plötzlichen Bewegungen. Es gab jede Menge Leben hier drin; nichts davon war menschlicher Art. Ich stieg ganz hinauf und trat von der Falltür weg.
    Der Raum war klein und bestimmt früher einmal bewohnt gewesen. Ein paar abbröckelnde Putzreste klebten noch an den Wänden, und elektrische Leitungen ragten dort hervor, wo einst vielleicht Lampen angebracht gewesen waren. An einer Wand führte eine schmale Treppe ohne Geländer nach oben. Ihr gegenüber

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