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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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bleiben, Interesse zu heucheln und ihr ein paar Minuten zuzuhören. Ich sagte mir, dass sie einsam war, und zwar bestimmt schon sehr lange. Soweit ich wusste, verließ sie niemals das Haus. Sie trauerte und hatte Angst, und ich – gerade ich – sollte doch wohl ein paar Minuten am Tag damit umgehen können.
    Wie sich herausstellte, brauchte ich nicht sehr lange damit umzugehen. Nach nur drei Monaten folgte Edeline ihrem Mann nach. Sie hatte ihren Leichnam nicht der medizinischen Forschung übereignet. Ich bezweifelte, dass Edeline im Leben jemals etwas hergeschenkt hatte, und sie würde im Tode nicht damit anfangen.
    Ich erreichte die Ecke der Bourne Lane und fing den Geruch von Rosen in der Luft auf; einen schweren, würzigen Duft irgendeiner alten Unterart. Der Busch rankte sich auf geradezu dekadente Weise über die Mauer, die das Eckgrundstück umgab, seine dunkelrosafarbenen Blüten sanken fast
bis zum Boden. Ich beugte mich vor. Es war der Duft meiner Mutter. Sie hatte ihr Parfum selbst gemacht, hatte Steingutschalen mit gesalzenen frischen Rosenblättern ausgelegt, bis das Öl austrat. Der Geruch war ihr durchs ganze Haus gefolgt, hatte in Stoffen gehangen, in sonnengesprenkeltem Staub verweilt. Mum! Mum war hier. Ist noch gar nicht lange her. Folge der Spur, finde sie.
    Ich schnappte vernehmlich nach Luft und rang plötzlich nach Atem, kämpfte gegen den beinahe übermächtigen Drang an, zu schreien wie ein kleines, verängstigtes Kind. Und dann traf es mich, wie ein Schlag auf den Kopf traf es mich endlich.
    Meine Mutter war tot.
    Einen Augenblick lang glaubte ich, ich müsste ersticken. Dass ich niemals wieder normal würde atmen können. Dass mein Leben enden würde, hier und jetzt, an der Ecke meiner Straße, ein einsames, verschrecktes kleines Mädchen, das nach seiner Mutter schrie.
    Dann verging der Schmerz und ich atmete wieder. Ich war noch am Leben, war noch hier, konnte mich noch bewegen, sprechen, leben. Aber sie nicht.
    Ich stolperte die Straße hinunter, schloss die Haustür auf und stürzte zum Telefon. Hastig nahm ich den Hörer ab und wählte die Nummer.
    »Daddy«, keuchte ich, als ich die vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung vernahm. »Ich bin’s.«

    Ich sprach sehr lange mit meinem Vater, erinnere mich aber an nichts von dem, was gesagt wurde. Nachdem wir einander Gute Nacht gesagt hatten, saß ich in meinem dunklen Schlafzimmer am offenen Fenster. Ich dachte nicht direkt nach, ich saß einfach nur da.
    Bis die Schreie ertönten.

6
    Einen Moment lang, der mir wie eine Ewigkeit vorkam, in Wirklichkeit jedoch bestimmt nur ein paar Sekunden dauerte, konnte ich mich nicht rühren. Dies war eine Bedrohung, die ich nicht einmal annähernd einzuschätzen vermochte. Also saß ich einfach nur da und ließ meinen Körper die Regie übernehmen, auf rasche, kurze Atemzüge umschalten, in volle Alarmbereitschaft übergehen.
    Meine zweite Reaktion – ich gebe es zu – war der Wunsch, mich zu verstecken. Die Fenster zu schließen, die Türen zu verriegeln, das Licht auszulassen und mich zu ducken. Aber das waren Kinder, die da schrien. Ich stand auf und streckte den Kopf aus dem Fenster, versuchte, das Geräusch zu orten. Doch von der Rückseite meines Hauses aus sieht man hauptsächlich Wiesen und Wald.
    Ich rannte mit noch immer schmerzendem Knöchel die Treppe hinunter, zog Schuhe an und öffnete die Haustür. In etlichen Fenstern ging Licht an, doch das Geschrei kam nicht von einem meiner unmittelbaren Nachbarn. Ich eilte die Straße hinauf.
    Als ich ihren höchsten Punkt erreichte, tauchte Daniel Huston gerade in der Tür seines Cottages auf und zog sich ein Sweatshirt über den Kopf.
    »Das sind die Poulsons«, sagte er, als er mich sah. »Das Langhaus.«
    Ich folgte ihm um die Ecke und ein paar Meter den Hügel hinab, als die Tür des Hauses an der Ecke aufflog und eine Familie beinahe im wahrsten Sinne des Wortes auf die Straße stürzte. Die Mutter trug auf einem Arm ein schluchzendes Kleinkind, nicht älter als zwei Jahre. Mit dem andren zerrte
sie einen etwa siebenjährigen, hysterisch schreienden Jungen hinter sich her. Ein deutlich älterer Mann schien kaum gehen zu können. Er stützte sich schwer auf einen jüngeren Mann, der neben ihm dahinstolperte und dabei seinen Arm umklammerte. Alle fünf sahen aus, als stünden sie ernsthaft unter Schock. Die Augen der Mutter trafen auf die meinen.
    »Sie sind überall!«, schrie sie. »Im ganzen Haus. Nick ist gebissen worden!«
    Der

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