Schlangenhaus - Thriller
kleine, dunkelgraue Schlange mit eleganter weißer Zeichnung hoch, eine Schlange, die ich nicht gesehen hatte. Ich hielt einen Kissenbezug auf, und er ließ das Tierchen hineinplumpsen.
»Wissen Sie, wie es den Poulsons geht?« Die Frage war mir einfach so herausgerutscht, wie ich erstaunt feststellte. Eigentlich war mir nicht nach plaudern. Ich wollte die Sache möglichst schnell hinter mich bringen und dann nach Hause gehen.
»Da ist noch eine.« Über meine Schulter hinweg griff er an mir vorbei. Ich konnte Shampoo riechen, das Haar an seinem Hinterkopf war noch feucht. Insgeheim überlegte ich, was er wohl um drei Uhr morgens getrieben hatte, dass eine Dusche nötig gewesen war. Er schnellte vor und stieß gegen mich, zwang mich, zurückzutreten.
»Entschuldigung«, brummte er, als er sich aufrichtete. Er hatte daneben gegriffen. »Flinke kleine Biester, nicht wahr? Mandy und die Kinder sind ziemlich aufgelöst, aber ansonsten geht’s ihnen gut. Ernest ist wahrscheinlich am schlimmsten dran. Hat ’ne Mordsbeule am Kopf. Nick schämt sich in Grund und Boden, weil er wegen einer Ringelnatter so einen Aufstand gemacht hat.«
Ich stand am Kopf der Treppe und sah mich um. Wir befanden uns in einem langen, schmalen Flur, der sich über die gesamte Länge des Hauses erstreckte. Ich zählte fünf Türen, die meisten davon offen. Was mir allerdings Sorgen bereitete, war das Fachwerk, und vor allem die Tatsache, dass der erste Stock zum Dachstuhl hin offen war. Die alten Balken und die schlecht eingepassten Rigipswände, die die Räume voneinander trennten, waren voller Lücken und kleiner Löcher.
Schlangen konnten sich nach Lust und Laune im Obergeschoss dieses Hauses herumtreiben, und sie zu fangen würde nicht leicht sein.
»Ich bin übrigens Matt Hoare, ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Ich würde Ihnen ja die Hand geben, aber in der habe ich gerade eine Schlange. O Gott, ich glaube, ich habe sie umgebracht!«
Ich schaute nach unten: Matt Hoare hatte ein wahres Ungetüm von einer Schlange erwischt. Fast anderthalb Meter lang und mit dicker Körpermitte. Schlaff und regungslos hing sie in seiner Hand; die blau-graue Zunge ragte hervor.
»Ich habe sie kaum angerührt«, beteuerte er mit entsetzter Miene.
Ich hielt ihm den Kissenbezug hin. »Ist schon okay«, versicherte ich. »Ringelnattern stellen sich oft tot, wenn es brenzlig wird.«
Ungläubig schaute er auf seine Hand hinunter. »Sie meinen, das Vieh tut nur so?«
Ich nickte und schüttelte den Kissenbezug ein wenig. Matt verstand und ließ die noch immer schlaffe Schlange in den weißen Baumwollbeutel gleiten. Nachdem er sie losgelassen hatte, begann sie sich wieder zu bewegen.
»Also, das ist doch …« Er schüttelte den Kopf und schaute dann wieder zu mir auf. »Sie heißen Clara, nicht wahr? Mein Garten grenzt von hinten an Ihren. Manchmal höre ich Sie singen. Was machen wir jetzt, sollen wir im Elternschlafzimmer anfangen und uns nach hinten vorarbeiten?«
Er ging nach links, und ich folgte ihm und fragte mich, woher er wusste, wo das Schlafzimmer war und wofür um Himmels willen diese Leute mich eigentlich hielten, für den Dorfbarden? Denkmalschutz hin oder her, meine Fenster bekamen Doppelverglasung.
»Na warte, mein kleiner Freund, ich kriege dich.« Matt machte einen Satz auf das Bett zu, packte das zusammengerollte Tier, das darauf lag, und hielt es mir hin.
»Na los doch, Clara, ich bin hier am Gewinnen – im Augenblick steht’s drei zu null.«
»Ich habe unten schon vier erwischt. Sind Sie sicher, dass Sie so was noch nie gemacht haben?« Die Leichtigkeit, mit der Matt mit den Schlangen umging, war etwas, das ich bei einem Laien noch nie erlebt hatte. Schlangen sind ziemlich bedrohliche Geschöpfe, wenn man nicht an sie gewöhnt ist.
»Nie, aber mein Vater war Flussfischer. Wenn ich schulfrei hatte, habe ich ihm geholfen. Wenn man mal ausgewachsene Aale in der Hand gehabt hat, sind Ringelnattern ein Kinderspiel.«
Ich beschloss, ihm zu glauben und mich darauf zu konzentrieren, meinen Punktestand aufzustocken. Fünf Schlangen später hatten wir Schränke durchwühlt und Schubladen herausgezogen, waren auf Kleiderschränke geklettert und hatten das Bett neu gemacht. Es kam mir vor, als würden wir unerlaubt in die Privatsphäre der Familie eindringen, doch andererseits würden sie uns wohl dankbar sein. Endlich erklärten wir das Schlafzimmer und das angrenzende Bad für schlangenfrei. Wir schlossen die Tür und gingen auf
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