Schlangenhaus - Thriller
jüngere Mann schwankte. Daniel stieß einen halblauten Fluch aus und rannte los. Er drängte sich zwischen die beiden Männer und schob die Arme unter ihre Schultern. »Kommt«, sagte er. »Wir gehen zu uns. Von da aus können wir einen Krankenwagen rufen.«
Noch mehr Leute tauchten auf, darunter auch Sally von nebenan. Sie warf mir einen raschen, furchtsamen Blick zu, dann schloss sie sich Daniel an und half ihm, die Poulsons langsam davonzuführen.
»Was zum Teufel ist denn los?«, verlangte ein bärtiger Mann mittleren Alters zu wissen, von dem ich glaubte, dass er in meiner Straße wohnte.
»Nick ist gebissen worden«, sagte ein anderer Mann, an den ich mich von der Zusammenkunft her erinnerte. Einer von Allans Freunden. »Ich weiß nicht genau, was mit Ernest ist. Hat sich den Kopf gestoßen, hat irgendjemand gesagt.«
»Soll ich die Polizei anrufen?«, fragte der Mann, der ihn begleitete. »Gib mal dein Handy, Steve.«
»Ich glaube, ich hole Allan«, meinte Steve. Er blieb stehen, wo er war und sah mich an. Alle sahen mich an.
Die Haustür der Poulsons stand noch offen. Drinnen brannte Licht. Ich überquerte den schmalen Steg, der zur Tür führte und stand auf der Türschwelle. Vor mir sah ich einen langen Flur, der sich über die ganze Breite des Hauses zog. Auf den Holzdielen waren feuchte Flecken, und Pflanzenschnipsel lagen herum. Der Anblick erschreckte mich, obgleich ich nicht genau wusste, warum.
Ich trat ins Haus und lehnte die Tür hinter mir an. Die Wände waren gelb, und ein großer Spiegel hing an der Wand gegenüber der Tür. Ich sah mein Spiegelbild und wandte mich hastig ab. Hinter der fast geschlossenen Haustür hörte ich das leise Wispern der Männer, die nicht recht den Mut aufbrachten, sich mir anzuschließen.
Ich war nicht allein im Haus. Überall im Raum beobachteten sie mich mit ihren runden, schwarzen Pupillen. Ihre schlanken Körper schlängelten vor und zurück, sie folgten meinen Bewegungen mit den Blicken, und ihre winzigen Zungen waren wild in Bewegung, zuckten aus den Mäulern hervor und wieder hinein, schmeckten die Luft, schmeckten mich. Feind oder Futter? Sie waren sich nicht sicher.
Vorsichtig ging ich zur offenen Küchentür. Einen Augenblick lang blieb ich dort stehen und sah zu, wie ein langer, anmutiger Leib die Zierrillen eines Schrankes entlangschlüpfte und wie Wasser um ihre Krümmungen glitt. Ein zweiter hing von der Lampe in der Mitte der Decke herab. Ich sah mich im ganzen Raum um, zählte, merkte mir Positionen, dann ging ich durch den langen Flur zurück ins Wohnzimmer. Ein schlanker schwarzer Schwanz verschwand hinter einem Sofa. Eng zusammengerollte Windungen schlummerten selbstvergessen auf einem Sessel. Etwas wand sich langsam die Vorhangschnur hinauf.
Ich hatte genug gesehen. Also ging ich wieder zur Haustür und öffnete sie ein wenig weiter. Vier menschliche Augenpaare starrten mir entgegen, und ich sah, wie ein fünfter Mann den Hügel heraufgeeilt kam. Ein Mann, den ich wiederzuerkennen glaubte.
»Ringelnattern«, verkündete ich. »Eine ganze Menge, und ich kann verstehen, warum die Familie Angst hatte, aber die sind alle vollkommen harmlos.«
Noch immer wachsam sahen sie einander an; sie waren sich nicht sicher, ob sie mir trauen konnten.
»Nick ist gebissen worden«, meldete Daniel, der wieder aufgetaucht
war. »Er hat schlimme Schmerzen. Wir haben einen Krankenwagen gerufen.«
»Wenn man Ringelnattern bedroht, beißen sie«, erklärte ich. »Die meisten Schlangen tun das. Aber sie sind nicht giftig. Die Stelle wird Nick vielleicht ein paar Tage lang wehtun, aber ihm wird nichts passieren.«
»Aber wie zum Teufel sind sie da reingekommen?«, fragte Steve. »Mandy hat gesagt, es wären Hunderte.«
»Nun ja, mindestens ein Dutzend«, gab ich zu. »Und ich weiß nicht, wie sie reingekommen sind. Ich treibe … Ich sammele sie jetzt ein.«
Ich konnte spüren, wie die Männer innerlich aufatmeten. »Was können wir tun?«, erkundigte sich einer von ihnen.
»Besorgen Sie mir irgendetwas, wo ich sie reintun kann«, antwortete ich. »Eimer mit Deckeln wären am besten. Kopfkissenbezüge gehen auch. Mein Haus ist offen. Wenn jemand hinlaufen könnte, neben der Tür liegen die Autoschlüssel, und im Kofferraum von meinem Auto sind ein paar Transportkisten.« Ich wandte mich an Steve, zwang ihn, mir in die Augen zu sehen. »Hier kommt mir aber keiner rein, es sei denn, er bringt mir etwas, was ich brauche. Und niemand fasst eine Schlange an.«
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