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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Zuerst hatte man sich mit mir befassen müssen. Als zehn Jahre vergangen waren, kämpfte Mum einen aussichtslosen Kampf gegen Alkoholismus und schwere Depressionen und galt nicht länger als angemessene Bischofsgattin.
    »Vanessas Haufen ist hier«, sagte Dad, als wir in den Weg zum Gartentor abbogen. »Ich glaube, es ist ein Mittagessen geplant.« Das war eine sanfte Warnung, doch sie war unnötig. Ich hatte Vanessa, ihren Mann Adrian und ihre beiden Töchter in der Kirche gesehen und hatte mich ein bisschen tiefer in die Bank rutschen lassen, als sie gegangen waren.

    »Aber wie ist der Taifun denn in das Zimmer von dem kleinen Jungen gekommen?«, fragte die zehnjährige Jessica.
    »Sehr gute Frage«, meinte ich und schob ein paar grüne Bohnen auf meinem Teller umher. Ich schaffte es nie, viel von Vanessas Essen hinunterzubringen. An ihren Kochkünsten gab es nichts auszusetzen, es war nur … nun ja … irgendetwas in meinem Magen schien sich jedes Mal zusammenzuziehen,
wenn meine ältere Schwester in der Nähe war. »Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, dass er irgendjemandem entwischt ist, der ihn wahrscheinlich gar nicht hätte haben dürfen.«
    »Oder dass er ausgesetzt worden ist, als der Besitzer gemerkt hat, dass er nicht mehr mit ihm zurechtkommt«, warf mein Schwager Adrian ein.
    »Na ja, das ist auch möglich«, stimmte ich zu. »Und es wäre auch bestimmt nicht das erste Mal.« Bei Aeolus waren wir mehr als einmal gerufen worden, um exotische Schlangen in Parks, auf freiem Feld oder sogar in Gärten einzufangen. Schlangen, die als Jungtiere niedlich aussahen, neigten dazu, sehr groß und stark zu werden.
    »Aber was ist mit all den Ringelnattern?«, drängte Jessica. Ich gab den Versuch auf, mir noch mehr Essen in den Mund zu schieben, und legte Messer und Gabel nebeneinander auf den Teller. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Vanessa mich böse anfunkelte. Und ich hörte, wie Dad leise seufzte. Allmählich wünschte ich mir, ich hätte die ganze Schlangengeschichte für mich behalten, doch das Tischgespräch hatte sich schwierig gestaltet, sogar noch schwieriger als gewöhnlich.
    »Angeblich schwärmen Ringelnattern«, erklärte ich, weil ich nicht auf die anderen, finstereren Theorien eingehen wollte. »Ich habe so etwas noch nie gesehen, aber ich kenne Leute, die es erlebt haben. Dutzende Ringelnattern machen sich zusammen auf den Weg. Es ist möglich, dass der Taipan einem solchen Schwarm begegnet ist und einfach Gesellschaft haben wollte. Es ist eine sehr junge Schlange. Oder vielleicht hat er auch gedacht, die anderen sind sein Abendessen.«
    »Was wäre mit dem Baby passiert, wenn die Kreuzotter es gebissen hätte?«, wollte die achtjährige Abigail wissen.
    »Nicht beim Essen, Abigail«, wehrte ihre Mutter ab, und ausnahmsweise war ich gern bereit, mich Vanessas Meinung anzuschließen.
    »Glaubst du, ihr habt einen Witzbold im Dorf?«, fragte Adrian.
»Ihr hattet doch ein paar Mal Probleme mit Sachbeschädigungen, nicht wahr? Könnte jemand das Ganze als Scherz betrachten?«
    »Es ist jemand gestorben«, erwiderte ich schroffer, als ich wollte. »So komisch ist das eigentlich nicht.«
    »Genau«, bekräftigte Vanessa, während Adrian den Arm ausstreckte, um Dad nachzuschenken und dann sein eigenes Weinglas neu zu füllen. Vanessa und ich trinken niemals Alkohol. »Und ich denke, wir müssen uns über Freitag unterhalten. Hat Andrew zugesagt, Dad?«
    Andrew Tremain war der Bischof von Winchester, Dads Vorgesetzter und ein alter Freund der Familie. Gewiss hatte man ihn ganz selbstverständlich gebeten, Mums Beerdigung zu zelebrieren. Mein Vater antwortete, Andrew würde sich freuen, den Gottesdienst zu leiten, und Vanessa begann, uns ihre Pläne für das Begräbnis darzulegen. Ich sah zu, wie Dad zu den Vorschlägen hinsichtlich der Blumen, Lieder und Bibelstellen zustimmend nickte und gestattete mir, innerlich davonzutreiben. Es war mir gleichgültig, ob Mums Begräbnisblumen Rosen und Lilien oder Butterblumen und Gänseblümchen sein würden. Mum war nicht mehr da. Und mit ihr war scheinbar auch meine letzte Chance dahin, mit dem, was sie hatte geschehen lassen, fertig zu werden. Ich hatte so viele Jahre auf den richtigen Moment gewartet, um meiner Mutter klarzumachen, wie vollständig sie mein Leben zerstört hatte. Jetzt würde ich sie niemals sagen hören, dass es ihr leidtat. Und ebenso wenig würde ich ihr sagen können, wie sehr sie der Mittelpunkt meiner Welt gewesen

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