Schlangenjagd
getan, wie ihm geheißen worden war.
Das war vor sechs ereignislosen Stunden gewesen, und jeder Kilometer, den sie ohne Zwischenfall hinter sich brachten, erlaubte Sloane, sich ein wenig mehr zu entspannen. Die Männer, die Jagd auf sie gemacht hatten, mussten annehmen, dass sie sich ihre Warnung zu Herzen genommen und endgültig aufgegeben hatte.
Unter dem aus Süden wehenden Wind wurde der Wellengang stärker. Das breite Boot wurde gut damit fertig, neigte sich bei jeder Woge nach Steuerbord und richtete sich schnell wieder auf. Der Kapitän kam von unten herauf, blieb ein Stück hinter Sloane stehen und überließ ihr weiterhin das Ruder. Er holte unter der Sitzbank ein Fernglas hervor und suchte den Horizont ab. Er reichte ihr das Fernglas und deutete nach Südwesten.
Sloane stellte das Fernglas auf ihren Augenabstand ein und blickte hindurch. Ein großes Schiff fuhr am Horizont entlang. Es war ein Frachter mit einem einzigen Schornstein, der offensichtlich Kurs auf Walvis Bay nahm. Auf diese große Entfernung war es unmöglich, etwas anderes zu erkennen als die vagen Umrisse des dunklen Schiffsrumpfs und einen kleinen Wald von Ladebäumen und Deckkränen auf dem Vor- wie auf dem Achterschiff.
»So ein Schiff habe ich noch nie gesehen«, sagte der Charterkapitän. »Die einzigen Schiffe, die sonst nach Walvis Bay kommen, sind Küstenfrachter oder Kreuzfahrtschiffe. Fischer bleiben immer in Küstennähe, und Tanker, die das Kap umrunden, kreuzen vier- oder fünfhundert Meilen weiter draußen.«
Die Weltmeere sind in Seestraßen aufgeteilt, die fast genauso eindeutig und klar markiert sind wie Autobahnen. Aufgrund sehr eng gesetzter Termine und der Tatsache, dass die Unterhaltungskosten zum Beispiel eines Supertankers am Tag in die Zehntausende gingen, folgten die Schiffe stets der geradesten Linie zu ihren Bestimmungsorten und wichen selten auch nur eine oder zwei Meilen davon ab. So kam es, dass es in einigen Regionen der Meere von Schiffsverkehr wimmelte, während in anderen nicht ein einziges Schiff im Jahr gesichtet wurde. Das Charterboot befand sich in einer solchen verkehrsarmen Zone – weit genug von der Küste entfernt, um regionalen Frachtern, die Walvis Bay versorgten, nicht in die Quere zu kommen, aber trotzdem immer noch in der Nähe festgelegter Routen, die zur Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung benutzt wurden.
»Eins ist seltsam«, stellte Sloane fest. »Aus dem Schornstein kommt kein Rauch. Was meinen Sie, könnte das ein Wrack sein? Vielleicht ist das Schiff in einen Sturm geraten und die Mannschaft musste es aufgeben?«
Tony kam die Leiter herauf. Sloane dachte über die Anwesenheit des rätselhaften Schiffs und das Schicksal seiner Besatzung nach und hörte ihn nicht. Daher erschrak sie heftig, als er sie auf die Schulter tippte.
»Entschuldigen Sie«, sagte er. »Schauen Sie mal hinter uns. Da nähert sich ein anderes Boot.«
Sloane drehte sich so schnell herum, dass ihre Hände am Ruder die Bewegung teilweise mitmachten und das Boot leicht nach Backbord ablenkten. Es war bekanntermaßen schwierig, auf See Entfernungen zu schätzen, aber sie wusste, dass dieses Boot, das zügig auf sie zukam, nicht mehr als drei Kilometer entfernt war und sie schon bald eingeholt haben würde, weil es deutlich schneller unterwegs war als das Charterboot. Sie reichte dem Kapitän das Fernglas und schob die verchromten Gashebel bis zum Anschlag vor.
»Was ist los?«, rief Tony und beugte sich vor, während das Boot Fahrt aufnahm.
Der Kapitän hatte Sloanes aufkeimende Furcht gespürt und sagte erst einmal gar nichts, während er das aufholende Boot durchs Fernglas beobachtete.
»Erkennen Sie es?«, wollte Sloane von ihm wissen.
»Ja. Es kommt einmal im Monat oder so nach Walvis. Eine Jacht. Etwa fünfzig Fuß lang. Ihren Namen oder ihren Eigner kenne ich nicht.«
»Können Sie jemanden sehen?«
»Auf der oberen Brücke stehen Männer. Weiße, soweit ich erkennen kann.«
»Ich will wissen, was hier los ist!«, brüllte Tony mit gerötetem Gesicht.
Sloane ignorierte ihn wieder. Ohne sie in Augenschein nehmen zu müssen, wusste sie, wer sich auf dem Boot hinter ihnen befand. Sie bewegte behutsam das Ruderrad und hielt auf den fernen Frachter zu. Dabei hoffte sie, dass ihre Verfolger angesichts möglicher Zeugen von ihnen ablassen würden. Sie war überzeugt, dass sie auf dem offenen Meer den Tod fänden und das Boot versenkt würde. Sie drückte fester gegen die Gashebel, doch die Motoren gaben
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