Schlangenkopf
Kiez herumlaufen und die Leute kopfscheu machen, sprechen wir uns vielleicht doch besser ab … Offenbar haben Sie sich diese Lackspuren an der Mauer angesehen. Was haben Sie daraus entnommen?«
»Hochgelegtes Chassis, schwarz-metallic lackiert.«
»Ein Landrover, schwarz-metallic, ja doch«, bestätigt Regulski. »Mit Bullenfänger, vermute ich mal. Jedenfalls sieht es mir ganz danach aus, so, wie es den Toten erwischt hat. Im Übrigen genau die Edelkutsche, mit der sonst Zahnarzts Gattin ihren Sprössling in den Kindergarten bringt. Teures Gerät, die Gattin will ja nicht für eine MTA gehalten werden.«
Berndorf versteht. Zahnarzts Landrover wird nicht so einfach geklaut. Zahnarzts Landrover verfügt über eine elektronische Wegfahrsperre und steht auch nicht irgendwo in Kreuzberg auf der Straße herum. Wer sich ein solches Teil unter den Nagel reißen will, braucht die Schlüssel, sowohl die fürs Auto als auch die für die Garage. Gewiss, das kann man sich alles besorgen. Wenn man den Bohrer richtig ansetzt, gibt auch der Zahnarzt die Schlüssel gerne her. Nur bleibt das selten unbemerkt.
»Also ist kein solcher Wagen als gestohlen gemeldet?«
»Aktuell nicht«, bestätigt Regulski. »Car-Jacking hat sich hier noch nicht so eingebürgert. Aber was anderes – was wissen Sie über den Toten?«
Berndorf zuckt mit den Schultern. »Nichts, genau gesehen. Gearbeitet hat er nichts. Sonst war aus dem Onkel nur herauszubringen, dass er schlechte Freunde gehabt hat.«
»Er war ein Eierdieb«, wirft Regulski ein. »Ein Kleinkrimineller am Beginn einer viel versprechenden Kleinkriminellen-Karriere. Dem einen oder anderen hat er wohl auch schon mit einem Messer vor dem Gesicht herumgefuchtelt. Bleibenden Eindruck hat er im Kiez damit aber nicht hinterlassen. Und künftig …« Energisch schiebt er die Brille wieder an ihren Platz. »Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?«
F ausser, endlich wieder allein und ohne den verfluchten Koffer, dessen Gewicht er noch immer in der Schulter spürt, lässt sich mit dem Fahrstuhl zum Bahnsteig der Kanzler-U-Bahn bringen. Wohin es die Halbblinde wohl verschlagen würde? Sie hatte ihm noch gesagt, sie wolle nach Frankfurt – nach Frankfurt am Main wohlgemerkt! – und es müsse einen Bus dorthin geben, mit dem Zug fahre sie nicht, das sei viel zu teuer, zumal der alte geile, geizige Bock ihr ohnehin nichts hinterlassen haben werde …
Der Zug wartet bereits, nur wenige Passagiere steigen ein, die meisten sind erkennbar Touristen. Männer in Lederjacken, die mit Schaffell gefüttert sind, sieht er jedenfalls nicht. Hier ist kein Revier für sie – zu viel Uniformierte überall, zu viel Überwachung, zu viel postmoderne Prachtbauten und zu viel leere weite kahle Fläche drum herum … Diesmal ist er neben der Tür stehen geblieben, gleich darauf ist er auch schon da und steigt aus, geht die Treppe hoch und bleibt oben wieder stehen, die Hand am Geländer des U-Bahn-Schachts, und schöpft Atem. Hoch über ihm bläht ein Windstoß die rote Fahne mit dem weißen Kreuz. Jeden Morgen flattert sie da im Wind, sofern einer weht, Fahnen haben das so an sich …
»Was hast du?« Ein großer kräftiger Mann mit buschigen Augenbrauen und einem geröteten Gesicht tritt neben ihn, Fausser atmet durch und löst die Hand vom Geländer, so dass die beiden Männer einen Handschlag tauschen können. Frieder Vochazer gehört der Staatspartei an, aber da sie beide Mitglieder des Haushaltsausschusses sind, duzen sie sich, seit langer Zeit schon …
»Dieser Kasten da …«, sagt Fausser und weist auf die Schweizer Botschaft, die in selbstverständlicher Bedächtigkeit und mit recht wenig Abstand neben dem Kanzleramt hockt wie der Igel im Märchen vom Wettrennen mit dem Hasen, »ausgerechnet das ist das einzige Gebäude hier, das so etwas wie eine Geschichte hat.«
»Ein Relikt«, meint Vochazer und wirft ihm einen prüfenden Blick zu. »Warum fällt dir das jetzt auf? Der Kasten ist schon lange alt.«
»Eben«, meinte Fausser. »Der Kaiser ist vor dem Haus vorbei geritten, es hat den Hitler kommen und gehen sehen, den Ulbricht und den Honecker … Was denkt sich so ein altes Gemäuer, wenn unsereiner vorbeikommt?«
Vochazer legt horchend die Hand ans Ohr. »Ich kann’s nicht verstehen«, sagt er dann und lässt die Hand wieder sinken. »Es redet Schweizerdeutsch«.
Die beiden Männer wenden sich dem Parlamentsgebäude zu, vor dem ein Dienstwagen der teureren Sorte vorgefahren ist. Eine
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