Schlangenkopf
Was soll ich übrigens auf einer Kundgebung des Klinikpersonals? Ich gehöre dem Haushaltsausschuss an, liebe Carla, also zu den Leuten, die das Geld zusammenhalten sollen, und nicht es ausgeben. Warum hat er nicht …?«
»Die sind alle verhindert«, antwortet Carla Jankewitz und betrachtet prüfend die lackierten Fingernägel. Auch diese sind sehr rot. »Aber wie Sie meinen. Ich werde ihm absagen. Und Ihr – wie soll ich sagen? – alter Freund Jörg Matthaus will mit Ihnen bei Borchardt essen, er hat einen Tisch für halb eins reserviert. Soll ich …?«
»Borchardt!« Fausser verzieht das Gesicht. »Von mir aus. Aber nennen Sie ihn nicht meinen alten Freund.«
»Außerdem ist da noch Holtzenpflug. Er will Sie nach der Fraktionssitzung sprechen.«
»Holtzenpflug?« Fausser muss gähnen. »Was will er denn, unser Schleicher? Ich bin doch für nix mehr zuständig, was er mir wegnehmen könnte.«
Carla Jankewitz zuckt die Schultern. »Im Flurfunk heißt es, er sei ziemlich sauer.«
»Ach ja?« Fausser beugt sich zu dem Stapel von Papier, der vor ihm liegt: Briefe, ausgedruckte E-Mails, Einladungen, Presseerklärungen, ein Nachtrag zur Tagesordnung des Haushaltsausschusses mit dem Vermerk: nachrichtlich!, die Übernahme des Bankhauses Oheymer & Jaumann durch die Landesbank Süd betreffend … In einem Antrag an den Parteitag fordert der Ortsverein Sielmingen, keine Hartz-IV-Empfänger mehr zu Erntearbeiten heranzuziehen …
»Wer fragt eigentlich danach, ob vielleicht ich ein bisschen sauer bin?«, fügt er hinzu und wirft Carla Jankewitz einen Blick zu, der deutlich genug sagt, dass er erstens keine Antwort erwartet und dass sie – zweitens – jetzt gehen kann.
Als sie die Tür hinter sich zugezogen hat, greift er zum Hörer und gibt eine Kurzwahl ein. Kaum dass die Verbindung zustande gekommen ist, meldet sich eine Stimme. Sie klingt angespannt und sehr zornig.
»Endlich rufst du an! Du musst sofort etwas unternehmen … sie haben Vera entlassen.«
»Versteh ich nicht«, antwortet Fausser. »Wieso entlassen? Sie muss doch noch in der Probezeit sein … Wird sie nicht übernommen?«
»Das ist doch Haarspalterei! Sie haben sie einfach rausgeschmissen, Vera ist sicher, dass es wegen dir sein muss …«
Fausser zieht eine Grimasse. »Das erscheint mir nicht ganz logisch … Welchen Grund haben sie denn angegeben?«
»Welchen Grund! Das ist doch nur ein Vorwand, ein ganz läppischer … Wegen einer Viertelstunde, ich bitte dich!«
»Wegen was für einer Viertelstunde?«
»Du weißt doch selbst, wie es in der Innenstadt zugeht, diese ständigen Staus …«
»Sie ist also zu spät gekommen, und daraufhin wurde die Probezeit beendet, ist das richtig? Eine Viertelstunde zu spät, oder mehr? Und sie ist wirklich nur einmal …«
»Hör bitte sofort auf mit diesem inquisitorischen Ton, ich ertrage das jetzt nicht …«
Fausser nimmt den Hörer von seinem Ohr und betrachtet ihn. Sein Gesichtsausdruck ist mehr resigniert als gleichgültig.
O mnibusse, ja doch. Dieser Geruch, und das Geräusch der Motoren, das leise Vibrieren, überall. Ein frischer Wind, gut, dass sie doch den Wintermantel genommen hat. Aber der Koffer! Und nirgends ein Wägelchen fürs Gepäck. Keine freundlichen Leute. Dieser eine Mann hat sie ja auch nur in die S-Bahn gesetzt. Nur keine weiteren Unkosten!
»Nach Frankfurt, bitte? Frankfurt am Main?«
»Nix Frankfurt. Sarajewo.«
Elfriede Watzkau schiebt sich mit ihrem Koffer und dem anderen Gepäck weiter. Gleich kommt die Stufe vom Bussteig zur Fahrbahn, wenn sie darauf achtet, passiert nichts. Genau gewusst hat es dieser Mann, dass sie nicht so besonders gut sieht. Und dass sie in Trauer ist. Sie hat es ihm ja gesagt. Ausdrücklich. Und dann dieses: »Mein Beileid!« Das kann sie nun schon gar nicht ab.
»Nach Frankfurt?«
»Nach München. Steht da neben der Tür. Auf dem Schild, Gnädigste.«
Nein, keine freundlichen Leute. Rechts muss ein Schalter sein. Es riecht nach Kaffee. Und nach anderem. Einer, der hat Rum im Kaffee. Der Mann links isst eine Bockwurst. Sie hört es, wie er ein Stück abbeißt.
»Nach Frankfurt? Frankfurt am Main?«
»Bin ich die Auskunft?«
Ein weißer Kittel. Der Wurstverkäufer! Wirklich, keine freundlichen Leute. So schnell aber gibt Elfriede Watzkau nicht auf. »Einen Fahrplan werden Sie doch haben?«
»Nach Frankfurt?«, fragt eine andere Stimme. Von links. Nicht der Wurstverkäufer. Sie äugt: Schmal. Ein Handtuch. »Bussteig zwölf. In zwanzig
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