Schlangenkopf
wieder los. Wieso Mord? Nach meinen Unterlagen ist diese Frau gestern Abend in einer Scheune aufgegriffen worden, das ist von mir aus Hausfriedensbruch oder ein versuchter Einbruchsdiebstahl. Nun gut – sie hatte eine Schusswaffe dabei und keinen Waffenschein, das wollen und werden wir nicht übersehen, natürlich hätte sie mit der Pistole auch irgendwann irgendjemanden erschießen können, aber das ist doch alles ein wenig unbestimmt, finden Sie nicht?«
»Durchaus nicht«, widerspricht Dingeldey. »Olga Modrack hat in Berlin einen Menschen getötet. Sie hat ihn überfahren, und zwar in der irrigen Annahme, es handle sich um den Exilbosniaken Zlatan Sirko, einen Mann, der wichtige Angaben über die neue Identität eines von Den Haag als Kriegsverbrecher gesuchten Mannes machen kann. In Frankfurt am Main ist Zlatan Sirko mit Hilfe meines Mandanten Berndorf einem weiteren Mordanschlag entgangen, ebenso gestern Abend, als Frau Modrack beabsichtigt hat, das Haus der Lebensgefährtin von Hans Berndorf in Brand zu setzen, um auf diese Weise sowohl den dort als Gast anwesenden Zlatan Sirko als auch meinen Mandanten und dessen Lebensgefährtin zu beseitigen. Von meiner Wenigkeit ganz zu schweigen, ich war nämlich auch dort.«
»Komisch«, wendet Quadenheuve ein, »dazu ist es doch aber offensichtlich nicht einmal im Ansatz gekommen.«
»Gewiss doch«, meint Dingeldey geduldig, »aber offenbar hat sie eine Schwierigkeit darin gesehen, mit der Pistole in ein Haus einzudringen und vier Menschen zu erschießen. Es erschien ihr einfacher, das Haus anzuzünden. Aus dem Polizeiprotokoll sollte hervorgehen, dass bei ihr ein Kanister mit Mineralöl sowie Feueranzünder gefunden wurden.«
»Dazu hat sie sich inzwischen erklärend geäußert«, widerspricht Quadenheuve und blättert in den Papieren, die vor ihm liegen. »Sie sagt, sie habe eigentlich das zum Verkauf angebotene Haus nebenan besichtigen wollen und den Kanister nur für den Fall mitgenommen, dass das Haus mit Ölofen ausgestattet sei und es ihr kalt werde. Leider müsse sie sich in der Türe geirrt haben.«
»Ach? Sie wollte das Haus einfach so anschauen? Ohne Makler? Wo hätte sie denn die Schlüssel hergehabt?«
Quadenheuve zuckt mit den Achseln. »Angeblich sei es zu spät gewesen, um den Makler noch anzurufen. Und da sie vor ein paar Tagen einen Bund mit Ersatzschlüsseln gefunden habe …« Der Ermittlungsrichter spricht den Satz nicht zu Ende und zeigt dazu die beiden leeren Hände, als sei damit alles über den Ermittlungsstand gesagt.
»Die Ersatzschlüssel waren ein Bund Dietriche«, konstatiert Dingeldey nicht ohne Sarkasmus.
»Mag sein.« Quadenheuve scheint unbeeindruckt. »Ich sagte Ihnen ja schon, dass wir in Richtung eines versuchten Einbruchsdiebstahls ermitteln. Die vielen Ferienhäuser hier, wissen Sie!«
»Gewiss doch. Aber lassen Sie uns doch Klartext reden!«, widerspricht Dingeldey. »Mir liegen Aussagen vor über den Namen und die Umstände, unter denen ein mit Internationalem Haftbefehl gesuchter Kriegsverbrecher heute lebt. Es sollte auch für die Rostocker Justiz vorrangig sein, diese Informationen an den Internationalen Gerichtshof für Jugoslawien weiterzugeben und alle Vorkehrungen zu treffen, um die verfügbaren Zeugen vor weiteren Anschlägen zu schützen, denn dies alles hat Eile, das Mandat des Internationalen Gerichtshofes läuft demnächst ab.«
Auf der Stirn des Ermittlungsrichters zeichnet sich eine scharfe Falte ab. »Ich glaube nicht, dass Sie mich über meine Aufgaben belehren sollten. Aber bitte! Sie sprachen von einem Haftbefehl – nun gut, uns liegt ein solcher vor, ausgestellt vom Amtsgericht Frankfurt am Main, und er richtet sich gegen einen Hans Berndorf, gegen Ihren Mandanten also, wegen des Verdachts auf Mittäterschaft in einem Tötungsdelikt. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, beantragen Sie eine Aufhebung oder vielmehr eine Aussetzung des Haftbefehls? Aber der liegt nun einmal vor, und der Tatvorwurf ist nicht leicht zu nehmen. Ein Tötungsdelikt, also das wiegt schon mehr als ein paar Fußtritte gegen einen Streifenwagen!«
»Dieser Vorwurf ist durch nichts begründet«, erwidert Dingeldey. »Durch weniger als nichts. Eine Person, die wohl selbst tatverdächtig ist, will – in Frankfurt! – den Namen meines Mandanten gehört haben, der in Berlin seinen festen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt hat. Dass so etwas für einen Haftbefehl ausreichen soll, ist haarsträubend!«
Quadenheuve wirft einen
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