Schlangenkopf
Barbara. »Die Frau hat einen türkischen Jungen totgefahren, mit Absicht hat sie das getan, und weil es eben ein türkischer Junge war, hat die Polizei keine große Lust, sich viel Mühe zu machen. Und darum müssen Sie mir helfen. Es geht nicht anders.«
A lso, es muss jetzt niemand Wunderdinge vollbringen«, sagt Kriminalhauptkommissar Friedhelm Kramer beruhigend zu der Frau, die von seinem Kollegen Dotz in den fensterlosen Raum gebracht worden ist, in dem die Gegenüberstellung stattfinden soll. »Was man nicht weiß, das weiß man nicht, und wenn man jemand nicht erkennt, erkennt man ihn eben nicht. Aber wenn man jemand erkennt, dann muss man das schon sagen. Eigentlich ganz einfach.«
»Einfach?«, fragt Elfriede Watzkau zurück, »ich weiß nicht, warum Sie mir das erzählen. Sie reden mit mir, als ob ich nicht richtig im Kopf wär und vielleicht nicht weiß, was ich weiß. Sie müssen mit mir nicht einfach reden, vor allem nicht, wenn Sie es nicht besser verstehen.«
Eilends versichert Kramer, dass er seine Bemerkung so nicht gemeint habe, sondern …
»Wie haben Sie es dann gemeint?«
Das weiß Kramer nun auf die Schnelle auch wieder nicht, und so sagt er, dass es nur noch ein paar Augenblicke seien, »und dann kommen ein paar Leute in dieses Zimmer, und vielleicht werden Sie mir sagen können, ob einer oder eine davon am Mittwochabend in Ihrem Haus in der Trajanstraße gewesen ist.«
»Das ist noch nicht mein Haus«, stellt Elfie Watzkau klar, »das ist noch immer das Haus von meinem Onkel, solang ich keinen Erbschein hab, das hab ich Ihnen doch schon erklärt, die ganze lange Fahrt schon erklär ich Ihnen das, und dass ich den Erbschein nicht krieg, solange Sie das Testament nicht herausgeben, das Sie beschlagnahmt haben, wieso eigentlich? Und Sie wollen wirklich einen Mord aufklären, wenn Sie solche Sachen nicht auseinanderhalten können?«
»Niemand ist perfekt«, sagt Kramer entschuldigend und schiebt sie in einen Raum, in dem schon eine Polizistin auf sie gewartet zu haben scheint. Hier stehen nur ein paar Stühle, die kahle fensterlose Stirnseite ist leer. Kramer nickt der Polizistin zu, die daraufhin zu einer Seitentür geht und sie öffnet. Sechs Männer betreten den Raum und stellen sich nebeneinander vor der fensterlosen Wand auf.
»Was sind das für Leute?«, will Elfie Watzkau wissen.
»Ich hab’s Ihnen doch gesagt, Sie sollen sehen, ob Sie jemand davon erkennen. Und ob der bei Ihnen im Haus in der Trajanstraße war.«
»Sehen!«, sagt Elfie, »das sagen Sie so! Ich hab eine Sehbehinderung, wie oft hab ich Ihnen das schon gesagt, extra zum Augenarzt haben Sie mich deshalb geschickt.«
»Gewiss doch. Aber versuchen Sie es trotzdem. Gehen Sie einfach zu diesen Leuten, die da vorne stehen, und dann schauen wir mal.«
Elfriede Watzkau zögert, dann geht sie mit vorsichtigen Schritten, den Kopf suchend und witternd vorgestreckt, zu den sechs Männern – von denen fünf Rostocker Polizisten in Zivil sind – und überwindet sich sehr schnell, ihnen aus nächster Nähe ins Gesicht zu starren. Sie ist an den ersten drei Männern vorbei und bleibt vor dem vierten stehen.
»Tag, Frau Watzkau«, sagt Berndorf. »Haben Sie Ihr Testament jetzt gefunden? Hat es hinterm Spiegel gesteckt?«
Elfie Watzkau tritt einen knappen Schritt zurück und richtet sich auf. »Ja, aber was drinsteht, weiß ich noch immer nicht. Die haben das beschlagnahmt, das ist doch unverschämt.«
»Sie kennen diesen Mann also?«, fragt Kramer, der neben sie getreten ist.
»Meinen Sie vielleicht, ich würd sonst mit ihm reden? Halten Sie mich für so eine?«
»Und wer ist dieser Mann?«
Er heiße Berndorf, erklärt Elfie, mehr wisse sie nicht von ihm, wie käme sie auch dazu! Aber vorgestern, das sei er in die Trajanstraße gekommen und habe Zlatan sprechen wollen. Kramer hat keine Fragen mehr, die sechs Männer verlassen den Raum, an ihrer Stelle kommen sechs Frauen aus der Seitentür und stellen sich vor der kahlen Wand auf.
»Soll ich die jetzt auch angucken?«, fragt Elfie. »Mit der Zeit wird das langweilig, wissen Sie das?« Trotzdem geht sie an den Frauen entlang, nicht allzu schnell, bleibt aber doch auf etwas mehr Abstand als vorhin, jedenfalls kommt es Kramer so vor. Als sie schon fast am Ende der Reihe ist, schreckt sie zurück, wie von einem unsichtbaren Schlag getroffen. Sie steht jetzt vor der fünften Frau von links, die Frau trägt ein Kostüm und flache Halbschuhe, sie hat ein ovales Gesicht mit
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