Schlangenkopf
das Haus verlassen haben, fällt ihr doch auf, dass Berndorf auf dem Gehsteig einen Moment stehen bleibt und einen prüfenden Blick über die links und rechts geparkten Fahrzeuge gleiten lässt. Sehr beruhigend kommt ihr das nicht vor. Wie soll das weitergehen?
»Die haben dir also geglaubt?«, fragt sie.
»Glauben ist keine kriminalistische Kategorie«, antwortet er. »Man hat einen Verdacht, der ist entweder hinreichend, oder er ist es nicht, oder er kann entkräftet werden. Glaube hingegen kann nicht entkräftet werden, den hat man, oder man hat ihn nicht.«
»Du solltest dich einmal mit dem Monsignore unterhalten«, wirft Barbara ein, »zum Beispiel über die Grenzen dessen, was wir denken oder wissen können.«
»Mit wem, sagst du, soll ich reden?« Sie sind an der Eckkneipe angekommen, und Berndorf ist im Begriff, die Tür aufzuziehen.
»Mit Monsignore Feichtmayr. Ich hab dich mit ihm bekannt gemacht, weißt du das nicht mehr?«, kommt die Antwort. »Der Mann aus der Zeitung. Kirstejns Geschäftspartner. Ich hab mit ihm gesprochen. Aber nun lass uns reingehen, ich hab Hunger!«
Obwohl es Freitagabend ist, finden sie in der Kneipe einen Tisch für sich, auch hat die Küche noch offen. Bei Lucy, der Bedienung, die im vermutlich zwölften Semester Philosophie studiert, bestellt Barbara einen Risotto und Berndorf Tagliatelle alla matriciana, dazu für beide eine Flasche Barolo.
»Ach, Lucy«, sagt Berndorf, als die Bestellung notiert ist, »eine Frage noch, aber nichts Erkenntnistheoretisches, sondern etwas aus der Gastronomie – wer darf sich und warum Restaurantfachkraft nennen?«
»Berndorf!«, sagt Barbara tadelnd, während sich auf Lucys schöner hoher Stirn eine scharfe Falte abzeichnet.
»Sie sind oder waren nicht mit mir zufrieden?«
»Um Gottes willen: Nein!«, ruft Berndorf, »wir beiden lieben Sie und vertrauen Ihnen, nur ist mir dieser Begriff begegnet: Restaurantfachkraft, und jetzt will ich wissen, was das genau ist.«
Lucy verharrt einen Augenblick, dann gesteht sie, dass sie das leider auch nicht weiß, geht zur Theke und redet, nachdem sie die Bestellung in die Küche weitergegeben hat, mit dem Patron, einem noch jungen Mann mit flinken, etwas misstrauischen Augen, die sich sofort an Berndorf und Barbara festmachen. Dann wischt er sich die Hände ab, mit denen er gerade Gläser gespült hat, und kommt in sehr aufrechter Haltung an den Tisch.
»Sie haben ein Problem mit dem Service?«
Und wieder versichert Berndorf, dass er durchaus kein Problem habe, sondern bisher jedes Mal höchst zufrieden gewesen sei und sich auch nur deshalb erlaubt habe, diese Verständnisfrage zu stellen.
»Verstehen Sie – eine Restaurantfachkraft, ist das jemand, der kochen oder der ein Restaurant führen darf?«
»Das ist ein Kellner«, antwortet der Patron, »ich hab’s der Lucy schon zehn Mal gesagt, sie soll sich bei der IHK melden und die Prüfung machen, aber sie will nun einmal nicht.«
M armor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht«, röhrt es aus dem Radio, so dass der Bilch den Ton nun doch leiser stellen muss. Noch immer hat er den Schulatlas aus Andrés Bücherregal vor sich auf dem Küchentisch liegen und blättert darin.
»New York geht wirklich nicht«, fährt er dann fort, »ich hab’s dir schon mal erklärt. Außerdem kannst du nicht einfach nach Tegel rausfahren und dich in den Flieger setzen. Du brauchst ein Visum. Das kriegst du nicht so ohne Weiteres. Du nicht, und ich zweimal nicht.«
»Und so was kann man sich nicht besorgen?«, fragt André und schraffiert mit dem Bleistift den Schatten, den die Hochhäuser auf die Straßenschluchten werfen sollen. »Ich meine – wie wir mal in den Ferien nach Jugoslawien sind, da sind wir auch geflogen, und die Elke hat außer dem großen Koffer so einen kleinen bei sich gehabt, da waren die Pässe und die Tickets in der Außentasche drin.« Der Schatten ist wichtig, damit der Junge und auch die anderen Leute später allmählich aus ihm heraustreten können.
»Was redest du da eigentlich?«, fragt der Bilch und blickt besorgt von dem Atlas auf, »hör ich recht? Du meinst, du könntest den Leuten die Tickets und Visa klauen wie den armen kranken Patienten die Geldbeutel? Aber bitte! Du kannst es ja versuchen. Geh hin, vielleicht gibt es ja einen jungen Dödel, der sich die Papiere abnehmen lässt, vielleicht kommst du sogar durch die Kontrollen damit und in den Flieger, und wenn der Dödel noch immer keinen Krach geschlagen hat,
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