Schlangenkopf
davonlaufen müsste.«
»Sie haben hier in der Klinik niemand«, will Berndorf wissen, »der sich um solche Fälle kümmert? Der einen Kontakt zur Familien- oder zur Jugendhilfe vermittelt?«
»Doch«, antwortet Venske müde. »Natürlich haben wir Sozialarbeiterinnen hier im Haus, und während des letzten Gesprächs mit der Patientin hab ich auch sofort versucht, eine von ihnen anzurufen, aber die sind natürlich auch alle überlastet. Es war also niemand zu erreichen, und ich habe der Elke Jakubeit auf einem Zettel die Durchwahl-Nummern unserer Sozialarbeiterinnen aufgeschrieben, aber sie hat nur gelacht und irgendetwas in dem Sinn gesagt, dass sie lieber drei Mal tot sei, als auf deren Hilfe warten zu müssen. Oder auf sie angewiesen zu sein. So genau hab ich es nicht verstanden. Und dann ist sie gegangen.«
»Haben Sie bei den Sozialarbeiterinnen nachgefragt, ob sich diese – diese Frau Jakubeit bei ihnen gemeldet hat?«
»Nein«, sagt Dr. Venske, »hab ich nicht. Wissen Sie, wie es in meiner Abteilung zugeht?«
»Elke Jakubeit«, wiederholt Berndorf. »So war doch der Name?«
I ch möchte nicht wissen«, sagt der Bilch und versucht, seine eingeschäumten Bartstoppeln mit einem winzigen Nassrasierer abzukratzen, »nicht wissen möchte ich, wozu die Elke diesen Rasierer benutzt hat!«
»Die Beine hat sie sich damit rasiert«, antwortet André, der gerade ins Bad gekommen ist, um zu sehen, ob die Unterwäsche, die er gestern von Hand ausgewaschen hat, inzwischen trocken ist.
»Ja, wenn es nur die Beine gewesen wären!«, ruft der Bilch und flucht, weil er sich geschnitten hat.
»Lass dir doch einen Bart stehen«, schlägt André vor, »dann erkennen dich die Leute nicht mehr.«
»Mich erkennt man an der Wampe«, stellt der Bilch klar. »Das ist mein Markenzeichen. Niemand, der meinen Bauch gesehen hat, wird mich jemals wieder vergessen. Und mit dem Rasieren, das ist wie mit unserer Geschichte. Wir haben sie nun einmal angefangen, und jetzt führen wir sie weiter, aber wie es sich gehört, ganz behutsam, so wie ein schlauer Fenek seine Schnecke von der Tamariske zupft.«
»Aber du hast gesagt, dass wir heute Zwanzigtausend holen?«
»Ja doch«, antwortet der Bilch mit vorgestrecktem Kinn, weil er dabei ist, sich den Unterkiefer zu rasieren. »Wo ist das Problem? Ach Gott!« Er lässt den Rasierer sinken und setzt sich auf den Rand der Badewanne. »Du meinst, wir nehmen den feinen Herrn Matthaus zu sehr in die Mangel? Und der Arme muss jetzt seiner Großmutter ihr klein Sparbuch plündern? Ich will dir was sagen. Dieser Kerl hat Millionen gemacht, ich weiß nicht wie, und was wir von ihm wollen, ist nichts weiter als die Provision für eine kleine Gefälligkeit. Für eine Gefälligkeit, die es ihm erlaubt, weiter Millionen zu scheffeln. Und diese Zwanzigtausend – das ist ganz sorgfältig und seriös kalkuliert. Es ist genau so viel Geld, dass er sich einige Mühe machen muss, um es an einem Samstagvormittag in kleinen Noten bereitzustellen. Aber es ist nicht zu viel … Eigentlich sind diese Zwanzigtausend nichts weiter als ein Anerkennungsbetrag, mit denen uns der Herr signalisiert, dass er in ein seriöses Gespräch mit uns eintreten will, und als ich ihn heute Morgen angerufen habe, aus dieser versifften, stinkigen Telefonzelle, da war er sehr verbindlich, sehr souverän, sehr einsichtig. Ein Profi, der weiß, wann er die Front begradigen muss. Ein Arschloch, aber cool.«
»Die Zwanzigtausend sind also noch nicht alles«, sagt André, fast gedankenverloren. »Und was dann noch?«
»Ach, da wollen wir uns noch nicht festlegen«, meint der Bilch, »aber eine gewisse Grundsicherung für uns beide sollte sich schon ergeben. Ein kleines Häuschen – zum Beispiel an der Côte d’Azur – müsste möglich sein, auch ein Grundstock für eigene unternehmerische Engagements …« Er hat sich wieder vor den Badezimmerspiegel gestellt und macht sich daran, die Rasur zu einem Ende zu bringen.
»Solange die Elke nicht zurück ist«, sagt André, »will ich da aber nicht hin. Nach Frankreich, meine ich.«
»Scheiße«, entfährt es dem Bilch. Schon wieder hat er sich geschnitten.
S ie waren unterwegs?«, fragt Kemal Aydin. »Hatten Sie eine gute Reise?« Er steht hinter dem Tresen der Änderungsschneiderei, den Blick höflich und ein wenig besorgt auf Berndorf gerichtet. Aber er bietet ihm nicht an, Platz zu nehmen.
»Ob man eine gute Reise hat, hängt vor allem davon ab, wen man dabei trifft«, antwortet
Weitere Kostenlose Bücher