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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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solche illegalen Waffenexporte gegeben hat, dann gehören alle Informationen darüber an die Öffentlichkeit.«
    »Eben«, sagt Berndorf rasch, ehe sich Venske abwenden kann, »aber es gibt Leute, die das verhindern wollen. Darum ist der Junge in Gefahr.«
    Venske bleibt stehen, und plötzlich sieht Berndorf, dass der Arzt über die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit hinaus erschöpft ist. Und nicht nur erschöpft, sondern ausgebrannt, traurig, resigniert. Ein nicht mehr junger Mann, der sich zu viel auf die Schultern geladen hat, denkt er. Und: Wir sollten jetzt einen Kaffee trinken. Aber er wird keine Zeit haben.
    »Kommen Sie«, sagt Venske. »Ich brauche einen Kaffee. Aber Sie müssen sich etwas einfallen lassen, warum ich Ihnen trauen kann.«
    I ch weiß nicht, wie es kommt«, sagt Dr. Venske und reißt ein zweites Zuckertütchen auf, »aber Sie haben mich in eine Lage versetzt, in der jede mögliche Antwort falsch ist.«
    »Sie haben aber bereits eine gegeben«, wendet Berndorf ein. »Wir säßen nicht hier, wenn Sie nicht wüssten, welchen Jungen ich meine.«
    Venske schüttelt den Kopf, während er den Zucker in seinen Kaffee rührt. »Dass ich das weiß, davon kann keine Rede sein. Ich habe einen Verdacht, oder besser gesagt: eine Sorge. Die Sorge, dass Sie hoffentlich nicht einen bestimmten Jungen meinen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es eben der ist, von dem Sie glauben, er habe Gott weiß was gestohlen? Zehn Prozent? Schon das ist viel zu hoch gegriffen. Und überhaupt! Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass das stimmt, was Sie von sich behaupten? Dass Sie jemand sind, der diesen Jungen schützen will, und nicht doch jemand, der ihm bloß die Beute abjagen wird? Dreißig Prozent?«
    »Ein paar Punkte mehr dürften Sie mir schon geben«, meint Berndorf und nimmt einen Schluck Espresso.
    »Wieso? Vielleicht sagen Sie die ganze Wahrheit, vielleicht die halbe, vielleicht lügen Sie mich an, womöglich ist alles ganz anders. Mit dreißig Prozent sind Sie gut bedient.«
    Berndorf zögert, dann nickt er, zum Zeichen, dass er das akzeptieren kann. »Wie sieht das aber aus der Sicht des Arztes aus? Sind dreißig Prozent Aussichten auf Heilung zu wenig, um ein Medikament oder eine Therapie anzuwenden?«
    »Es geht jetzt nicht um die Therapie«, wendet der Arzt ein, »sondern um die Glaubwürdigkeit und Belastbarkeit einer Diagnose. Da sind dreißig Prozent nicht eben viel.«
    »Jemand wird von einer Schlange ins Bein gebissen, von einer Viper«, sagt Berndorf. »Es besteht die entfernte Möglichkeit, dass es eine besonders giftige Viper war. Dann kann dieser Mensch nur gerettet werden, wenn das Bein amputiert wird. Wann operieren Sie? Bei zehn Prozent Wahrscheinlichkeit, dass es die gefährliche Viper war? Bei zwanzig Prozent?«
    »Gegen einen Schlangenbiss hilft nur das richtige Serum«, antwortet Venske, »und unser Gespräch läuft ins Leere. Dafür habe ich keine Zeit.«
    »Dann kürzen wir es ab. Dieser Junge, der Ihnen Sorge macht – in welcher Beziehung stehen Sie zu ihm?«
    »Was reden Sie da!« Ärgerlich setzt Venske die Kaffeetasse ab, die er gerade zum Mund führen will. »Keine Beziehung. Seine Mutter war bei uns in Behandlung, also hier in der Hautklinik. Eine noch junge Frau, alleinerziehend, soviel ich weiß. Sie werden wissen, was ein Melanom ist und was damit passieren kann. Dass es sehr schnell gehen kann, und plötzlich kann man gar nichts mehr machen, weil überall Metastasen sind.« Er hört auf zu sprechen und starrt vor sich hin, die bereits geöffnete Verpackung der Kaffeesahne noch in der Hand. Er beginnt, die Folie vollends abzupulen.
    »Und Sie haben ihr gesagt«, fragt Berndorf, nachdem er ihm eine Weile zugesehen hat, »dass nichts mehr zu machen ist?«
    »Ja, hab ich.« Venske hält die Folie mit Daumen und Zeigefinger und betrachtet sie, ohne sie zu sehen.
    »Und dann?«
    »Ist sie weggelaufen. Ich hab sie nicht mehr gesehen.« Venske rafft sich auf und legt die Folie auf dem Unterteller der Kaffeetasse ab. »Den Jungen habe ich Wochen später zufällig getroffen, und da hat er mir gesagt, seine Mutter sei in einem Heim, und käme bald zurück. Ich konnte nichts damit anfangen, als einzige Möglichkeit fiel mir ein, dass sie in einem Hospiz untergekommen ist, aber das konnte ich den Jungen – jetzt fällt es mir wieder ein: er heißt André –, das konnte ich den André doch nicht fragen! Außerdem wollte er weg, weg von mir, es war, als ob er vor irgendwas

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