Schlangenkopf
mit grauem Stoppelbart. Berndorf versteht nichts, aber es ist klar, dass es sich um eine Anweisung handelt. Der Wirt steht auf und geht mit den Fotos zu dem Stoppelbärtigen. Die beiden Männer verhandeln oder diskutieren, der Alte scheint nicht sehr zufrieden zu sein mit dem, was der Wirt ihm vorträgt, andere Gäste stehen auf und gesellen sich zu den beiden und dürfen auch etwas sagen, wenn der Alte es ihnen erlaubt. Berndorf betrachtet sein Mokkatässchen und versteht nichts und überlegt, warum er eigentlich nie einen Türkisch-Kurs belegt hat, ist er sich zu gut für die Volkshochschule? Nun hat jedes Gespräch seine eigene Melodie und seine eigene Färbung, und wenn er daraus etwas schließen soll oder darf, dann ist die Wertschätzung für den armen Teufel Murad Aydin hier nicht viel höher als im Büro des Dienststellenleiters Jonas Regulski. Und irgendwann schnappt er etwas auf: Vom Rosenthaler Platz spricht einer der Männer, die um den Tisch des Alten herumstehen, und er wiederholt den Hinweis, als sei er sich seiner Sache doch recht sicher. Nur: Der Alte will das nicht hören, er wischt es weg und scheint überhaupt der Ansicht zu sein, dass nun genug gesprochen worden sei.
So kommt auch der Wirt wieder zu Berndorf und gibt ihm die Fotos zurück. »Dieser Mann ist hier Gast gewesen, das ist richtig«, sagt er. »Ein paar Mal war er hier. Früher einmal.« Das klingt, als sei alles gesagt, und so fragt Berndorf gar nicht erst danach, wo Murad Aydin denn sonst verkehrt haben könnte, sondern will bezahlen, aber der Mokka geht auf Rechnung des Hauses.
T ritt ein«, sagt Einar Holtzenpflug und schiebt Fausser – die Hand an dessen Oberarm gelegt – vor sich her in ein Büro, das im Licht des späten Vormittags hell und großzügig wirkt, und bugsiert ihn zu einem Besprechungstisch. »Nimm Platz, ich will mir nur gerade meine Unterlagen holen.«
Fausser setzt sich in den mit schwarzem Leder bespannten Stahlrohrsessel und betrachtet den Fraktionsgeschäftsführer, wie er zu seinem Schreibtisch geht, einen kurzen Blick auf einen Vermerk wirft – vermutlich handelt es sich um die Liste der Leute, die um einen Rückruf bitten – und dann aus einem Stoß von Papieren eine Klarsichtmappe herausholt, sie aufschlägt und ein paar Zeilen liest, als müsse er sich vergewissern, dass es auch die richtige Mappe ist. Seit einiger Zeit trägt Holtzenpflug das Haar kurz geschoren, vielleicht – so vermutet Fausser – um auf diese Weise von der fortgeschrittenen Glatzenbildung abzulenken. Weil er nicht sehr groß ist, hält Holtzenpflug den Kopf gerne hoch, was die breiten und vollen Lippen ein wenig zu sehr zur Geltung bringt.
Holtzenpflug hat genug gesehen und kommt nun an den Besprechungstisch. Er lässt Fausser einen Blick auf die Klarsichtmappe werfen, sie enthält als oberstes Blatt den Zeitungsartikel über die Tagung am Starnberger See; der Absatz, der Fausser betrifft, ist mit einem gelben Leuchtmarker gekennzeichnet. Unter dem Zeitungsausschnitt sind andere Schriftstücke eingeheftet.
»Du kennst diesen Artikel bereits?« Holtzenpflug wirft Fausser einen Blick zu, dem nichts zu entnehmen ist. »Bist du korrekt wiedergegeben worden?«
»Guter Artikel«, antwortet Fausser. »Ich habe nichts zu beanstanden. Aber du – du hast einen Ordner über mich angelegt?«
»Einen Ordner über EuroStrat«, stellt Holtzenpflug richtig. »Erklärst du mir, was du gemeint hast?«
»Das wird kaum nötig sein.« Fausser hebt den Kopf und gibt Holtzenpflugs Blick zurück. »Mit den Umständen, unter denen wir Soldaten an den Hindukusch geschickt haben, bist du selbst am besten vertraut.«
Holtzenpflug senkt ein wenig den Kopf, als müsse er darüber nachdenken, was sein Gegenüber gerade gesagt hat. »Ich hatte gehofft, wir könnten dieses Gespräch vernünftig führen«, sagt er nach einer kurzen Pause. »Ich bin auch durchaus bereit gewesen, Verständnis für deine Situation aufzubringen … – unterbrich mich jetzt bitte nicht! – … Es ist ja kein Geheimnis, dass du ein Problem mit deinem Landesverband hast und mit keinem sicheren Listenplatz mehr rechnen kannst … Oder sollte ich mich irren?«
»Das kann kaum das Thema des Gesprächs sein, zu dem du mich gebeten hast«, antwortet Fausser.
»Nein, das ist es nicht. Das Thema des Gesprächs ist, dass ich zwar grundsätzlich Verständnis für dich habe, aber absolut keines dafür, dass du aus Enttäuschung und Frust jetzt eine Dolchstoßkampagne loszutreten im
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