Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
Kemal Aydin genannt hat, ist einmal eine jener Eck-Kneipen gewesen, in denen einer für ein Bier und eine Bockwurst zwei Mark fuffzich gezahlt hat, jedenfalls in den alten Zeiten, und während Berndorf den Vorhang an der Tür beiseiteschiebt, fällt ihm ein Song von Johnny Cash ein …
    Harry Truman was our President
    A coke and burger cost you thirty cent …
    … und er fragt sich, wie er diese zwei Zeilen übersetzen soll, so dass es einen Reim auf zweifuffzich gibt, aber es will ihm nur einer mit Erich einfallen, und einen solchen Vers würde niemand hören wollen. Dann sieht er auch schon, dass heute und hier weder Bier noch Bockwurst serviert werden, über dem Tresen hängt nicht die Vereinsfahne von Hertha oder Union, sondern die von Fenerbahce, und keiner langt der Bedienung unter den Rock, denn die Bedienung ist ein Kerl mit einem Bart rund ums Kinn, und ob dem Gast Berndorf überhaupt ein Mokka gebracht werden wird, das muss sich erst noch zeigen. Es ist, als habe sich mit seinem Eintreten ein Schweigen über die Runde der zugehörigen, der selbstverständlichen Gäste gelegt, einem mönchischen Tribunal gleich, das nun wortlos – vielleicht mit weißen und schwarzen Kugeln – über das weitere Schicksal des Fremden zu befinden haben wird.
    »Ein Mokka«, verkündet der Kellner schließlich das Urteil, und wendet sich der Theke zu.
    Berndorf sieht sich um, die Männer scheinen ihn inzwischen nicht weiter wahrzunehmen, einige lesen Zeitung, zwei spielen Backgammon, ein dritter kiebitzt. Berndorf holt die beiden Fotografien von Murad Aydin heraus, also das Bild ohne Pickel und mit Schmalzblick, und das andere, das einen jungen Mann zeigt, der vom Leben noch nicht mitbekommen hat, wie kurz es sein kann.
    Der Mokka wird auf Berndorfs Tisch abgestellt, dazu ein Glas Wasser.
    »Danke«, sagt Berndorf und schiebt die beiden Fotos in Blickrichtung zum Kellner, aber so, dass sie neben seiner Brieftasche liegen, aus der ein Fünfziger wie zufällig herausragt. »Ich suche jemand, der Murad gekannt hat«, sagt er. »Murad Aydin. Den Mann auf diesen Fotos.«
    »Und warum fragen Sie mich das?«
    »Jemand hat Murad totgefahren. Die Familie glaubt, dass es mit Absicht geschehen ist.«
    »Sind Sie von der Polizei?«
    »Nein. Die Polizei glaubt, dass es ein Unfall war.«
    »Und was glauben Sie?«
    Berndorf schüttelt den Kopf. »Fürs Glauben werde ich nicht bezahlt.« Er blickt um sich, ein schlanker Mann mit einem ausladenden Schnauzbart ist – kaum hörbar – im Gastraum erschienen und an seinen Tisch gekommen und nimmt sich wortlos die beiden Fotos, betrachtet aber nicht sie, sondern Berndorf. Was er sieht, scheint ihm nicht zu gefallen.
    »Aber fürs Schnüffeln – da werden Sie bezahlt, ja?« Jetzt ist es nicht mehr der Kellner, der die Fragen stellt, sondern der Schnauzbärtige. Berndorf beschließt, ihn für den Wirt zu halten.
    »Für meine Arbeit werde ich bezahlt, ja.«
    »Arbeit! Sie haben immer noch nicht erklärt, warum Sie hierhergekommen sind.«
    »Murad soll hier verkehrt haben. Sagt seine Familie.«
    Der Wirt nimmt einen Stuhl und setzt sich Berndorf gegenüber. Noch immer hält er die Fotos in der Hand. »Hören Sie, alter Mann. Wenn diese Geschichte irgendetwas mit mir zu tun hat, mit mir oder meinem Café oder meinen Gästen – dann werde ich mich darum kümmern und das klären. Niemand sonst! Haben Sie das verstanden?«
    Berndorf senkt ein wenig den Kopf und verharrt so.
    »Ob Sie mich verstanden haben?«
    »Gewiss doch«, antwortet Berndorf. »Sicher habe ich Sie verstanden. Es ist nicht schwer zu verstehen. Auch die Polizei sagt mir das. Ich habe mich schon fast daran gewöhnt.«
    »Was ist mit der Polizei?«
    »Nichts. Oder nichts, was Sie nicht auch sagen. Dass ich mich zum Teufel scheren soll. Dass Murad Aydin keiner gewesen ist, für den irgendjemand auch nur eine Schramme an seinem Auto riskiert hätte …«
    »Sagt das die Polizei?«
    Berndorf zuckte mit den Schultern. »So vielleicht sagt sie es nicht. Nicht wörtlich. Aber es läuft darauf hinaus.«
    »Aber Sie – warum glauben Sie, dass man diesen da mit Absicht angefahren hat?« Der Wirt deutet auf die beiden Fotos.
    »Weil man ihn erst gejagt hat. Gejagt wie einen Hund. Über den Gehsteig und dann auf die Fahrbahn.«
    Der Wirt hat die Stirn gerunzelt, und noch immer hält er die Fotos in der Hand. Plötzlich dringt eine Stimme durch den Raum, sie ist ein wenig heiser, nicht sehr laut, und sie gehört einem dicklichen älteren Mann

Weitere Kostenlose Bücher