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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Stimme, so laut, dass es im ganzen Zimmer zu hören ist. »Polizei. Ich hätte gerne mit der Hausverwaltung gesprochen.«
    »Moment«, bringt Kroppenschmitt heraus und knöpft sich das Hemd zu. Dann schaltet er das Deckenlicht ein, schlüpft in das Sakko, das an der Garderobe hängt, und wendet sich an André:
    »Komm morgen wieder, um dieselbe Zeit!«
    Dann schiebt er ihn ins Treppenhaus hinaus, wieder schlägt die Klingel an, und diesmal drückt Kroppenschmitt auf den Öffner.
    D raußen vor dem Mansardenfenster ist die Nacht aufgezogen, eine Stehlampe mit großem gelbem Papierschirm beleuchtet das Tischchen mit der Sherry-Flasche und den beiden Likörgläschen, von denen das eine schon wieder leer ist. Die beiden Menschen, die an dem Tischchen sitzen, verschwinden schon fast in der Dunkelheit, die außerhalb des Lichtkreises der Stehlampe das kleine Zimmer füllt und nur durchbrochen wird von einem einzelnen Strahler, der auf das Bild einer jungen eleganten Frau gerichtet ist, einer Dame, mit ein wenig unregelmäßigen Gesichtszügen, die Unruhe und eine nervöse Gespanntheit verraten … Wieso elegant, wieso Dame? Der Eindruck von Eleganz, denkt Berndorf, verdankt sich vielleicht nur einer weißen Papierblume auf blauschwarzem Jackett, vielleicht auch dem schlanken Hals und der Haltung des Kopfes, es liegt Distanz darin, etwas Unverfügbares … Wann wurde so gemalt? Um 1910? Er kennt sich darin nicht aus, rechnet sich aber aus, dass das Bild um 1960 entstanden sein muss …
    »Gefällt Ihnen die Dame?«, fragt die brüchige Stimme. »Sie sieht heute ein wenig … bei manchen Männern hat sie das, da müssen Sie vorsichtig sein, Hänschen … Aber nein!« Tamara Feinkind legt kurz und tadelnd zwei Fingerspitzen an ihren Mund. »Nicht doch! Hänschen passt nicht zu Ihnen, ich werde Sie … Moment! Hans heißt Johannes, heißt also Iwan, also werde ich Sie Wanja nennen, wie finden Sie das?«
    Berndorf beißt die Zähne zusammen und verbeugt sich ergeben. Dann zeigt er auf das Bild. »Wie Sie schon sagten, eine Dame, nicht unbedingt kapriziös, aber jemand, der seinen eigenen Weg geht …«
    »Oh nein!«, fällt ihm die Dame Feinkind ins Wort, »sehr kapriziös, glauben Sie mir, ich kenne sie nämlich gut … allzu gut … Also seien Sie vorsichtig, Wanja, außerdem – könnten Sie mir wohl noch ein Gläschen …?«
    Berndorf tut wie ihm geheißen, und fragt, wer das Bild gemalt hat und wann.
    »Gemalt hat es … ach! Er ist schon lange …« Sie nippt nicht am Likör, sondern nimmt einen kräftigen Schluck. »Ich hasse Friedhöfe … trotzdem … Im Sommer sogar oft, nur nicht im November … aber jetzt! Das Treppensteigen, das Treppensteigen …«
    »Erzählen Sie mir, wann das Bild entstanden ist?«
    »Ach, Wanja, Hänschen, Hans – Ich hasse solche Fragen, das Alter ist schrecklich genug, da will ich gar nicht … Aber weil Sie es sind und mir so lieb …« – sie bewegt das Likörgläschen vorsichtig von links nach rechts – »… also das ist in den Fünfzigern gewesen, Sascha hatte ein Atelier in den Hackeschen Höfen, es gibt ein paar …« Plötzlich kichert sie. »Es gibt ein paar … die kann ich Ihnen gar nicht … da würden Sie …«
    Hackesche Höfe, Fünfziger Jahre, DDR, denkt Berndorf: Das Bildnis einer Dame als Anachronismus im Real Existierenden Sozialismus, darum die Malweise. Er versucht, das Thema zu wechseln, aber es fällt ihm kein behutsamer Übergang ein, also nimmt er die Mappe, die er neben dem Sesselchen mit den gedrechselten Beinen abgestellt hat, und holt daraus die beiden Fotografien, auf denen die Lederjacke mit den weißen Besätzen abgelichtet ist, und zwar in Vorder- und in Rückansicht.
    »Können Sie mir sagen, ob Zlatan …«
    »Ach!«, ruft Tamara Feinkind, »dieses schreckliche Ding! Ich hab es ihm gleich gesagt. Zlatan, habe ich gesagt, nein! Das ist … knäbisch, verstehen Sie? Aber … Wanja, warum zeigen Sie mir diese Fotos?« Plötzlich richtet sie sich auf und starrt Berndorf zornig an. »Was ist mit Zlatan passiert?«
    Berndorf schüttelt den Kopf. »Ihm ist nichts passiert. Nichts, von dem ich weiß. Nur dass er die Jacke verloren hat und den Schlüsselbund. Deswegen bin ich ja hier.«
    Sie betrachtet ihn, jetzt weniger zornig als misstrauisch. »Irgendetwas ist passiert … aber ich bin ein altes Weib … muss nicht alles …« Sie zuckt mit den Achseln.
    Berndorf versteht das als Angebot, das Thema zu wechseln. »Seit wann kennen Sie Zlatan?«
    »Sie sind

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