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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Schulenburgs ungestört bleiben, so wird der Garnisonfriedhof am späten Nachmittag geschlossen. Berndorf – der noch immer den Nachgeschmack von klebrigem Likör im Mund hat – muss deshalb den Weg außerhalb des Friedhofs nehmen, und weil er zum Rosenthaler Platz will, kommt er an der Stelle vorbei, an der die Friedhofsmauer ein wenig angeschrammt ist. Aber auf der Fahrbahn sind im Dämmerlicht kaum mehr Markierungen zu erkennen.
    Es ist die Stunde, in der die Stadt im Schein ihrer Lichter so wirkt, als würde jetzt ihr richtiges Leben beginnen. Das heißt, nicht überall ist das so. Rund um den Rosenthaler Platz sind die Lichter trüber als anderswo, wenn sie denn überhaupt brennen, und das meiste Licht kommt vom Verkehr, der vierspurig über den Platz rollt. In einem Café, das eher ein Zeitschriftenkiosk mit angeschlossener Kaffeemaschine ist, bekommt Berndorf einen Espresso und ein Mineralwasser, das ihm der Wirt mit der leisen Verachtung dessen bringt, der einen Espresso überhaupt nur zusammen mit einem Schnaps für vertretbar hält. Espresso und Wasser helfen gegen den Nachgeschmack, beiläufig sieht sich Berndorf um, er ist der einzige Gast, irgendwie scheint ihm das Café kaum der Ort, an dem Murad Aydin zu der Jacke gekommen sein kann, die ihm nicht gehört.
    Warum eigentlich nicht?
    Es ist der Wirt. Der ist ein großer kräftiger glatzköpfiger Deutscher in T-Shirt und offener Weste, mit einem Schlangentattoo auf dem bloßen Oberarm. Falls jüngere Leute bei ihm einkehren, müssten sie – vermutet Berndorf – ebenfalls glatzköpfig sein und ebenfalls deutsch und dürften eher nicht auf den Rufnamen Murad hören. Er zahlt, lässt aber beim Zahlen einen Fünfziger sehen und zeigt die beiden Fotos, die er von Murad Aydin hat.
    »Das da ist ein gewisser Murad. Kann es sein, dass Sie den hier schon einmal gesehen haben?«
    Der Wirt wirft einen Blick auf die Fotos, der weniger ein Blick als vielmehr ein Weggucken ist. »Kenn keinen Murad.«
    »Fast hab ich mir’s gedacht«, antwortet Berndorf und geht. Vor ihm beginnt eine Unterführung, er steigt hinab und unterquert den Platz. Auf der anderen Seite aber beginnt ein Viertel, das eher still und von Grünanlagen durchzogen ist. Irgendwo könnte er chinesisch essen und einen Block weiter provenzalisch. Auch gibt es einen Osteopathen und ein Beratungscenter gegen häusliche Gewalt, ein Geschäft für japanische Lampen und eines für dänische Betten und eines für gebrauchte Kinderkleidung. Was zum Teufel soll Murad hier verloren haben? In einem großen Bogen geht er zurück und hinab zur U-Bahn-Station. Auch dort gibt es einen Kiosk mit Ausschank, aber der hat längst geschlossen.
    Wieder steht er oben auf dem Platz. Der Autoverkehr ist etwas ruhiger geworden, Fußgänger sind kaum unterwegs. Auf der anderen Seite sieht er das Café, wo er seinen Espresso bekommen hat. Hat es dort eigentlich eine Tür gegeben – eine Tür, die in ein Nebenzimmer führt? Plötzlich hat er das Gefühl, dass er nicht alleine Wache schiebt. Er tritt einen Schritt zurück und schaut sich dabei um. Links von sich nimmt er eine Bewegung wahr – nur gerade so, aus den Augenwinkeln heraus –, als ob sich jemand in einen Hauseingang gedrückt hat, ein dunkel gekleideter Mensch. Berndorf runzelt die Stirn, er geht hinüber, tatsächlich hat sich dort jemand in den Schatten gedrückt, dunkel gekleidet, nur das Gesicht schimmert blass unterm Kopftuch.
    »Nezahat – was tun Sie hier?«
    »Nichts.« Und, nach einer Pause: »Ich mache einen Spaziergang. Zu Hause … zu Hause ist es gerade nicht einfach.«
    Berndorf überlegt und riskiert einen Schuss ins Blaue. »Sie beobachten dieses Café da drüben? Warum? Weil Murad dort verkehrt hat?«
    Keine Antwort.
    »Murad kommt nicht mehr. Also warten Sie auf den Mann, der Murads Blouson trägt? Und wenn er kommt, was dann?«
    »Ich will ihn nur sehen«, antwortet Nezahat. »Nichts sonst.«
    Berndorf starrt in das blasse Gesicht, aber hier im Schatten des Hauseingangs ist der Ausdruck der Augen nicht zu erkennen. Hat sie ein Messer bei sich? Das mag so sein oder auch nicht, soll er vielleicht eine Leibesvisitation vornehmen, hier im Hauseingang? Er, an einem Kopftuchmädchen? Absurd.
    »Da!«, sagt sie plötzlich, und deutet an ihm vorbei über die Straße. Berndorf dreht sich um und sieht gerade noch, wie eine Gestalt im Café verschwindet. Ein Kerl, von dem man nichts sagen kann, weil man nicht viel mehr von ihm gesehen hat als die Tür,

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