Schlangenkopf
Treppenhaus hört man Schritte, feste, schwere, entschlossene Schritte. »Hören Sie, da kommt er ja …!«
»Wirklich?«, fragt Berndorf mit leiser Stimme. »Kommt er so die Treppe herauf?« Denn die Schritte klingen nach Leuten, zu deren Berufsalltag leises Auftreten eher nicht gehört.
»Sie haben Recht«, flüstert Tamara Feinkind, »aber wer … schon gestern …« Die Schritte haben den obersten Treppenabsatz erreicht. Berndorf hebt kurz die Hand und legt den Finger vor den Mund. Die Schritte verharren nebenan, eine Stimme ist zu hören, der Klang ist bedenklich, als hätte sie Einwände, eine zweite, kräftigere Stimme übernimmt das Kommando.
»… das hier, da ist Gefahr im Verzug, da brauchen Sie sich nicht in die Hosen zu scheißen, Meister, wenn’s Ärger gibt, berufen Sie sich auf uns!«
Ein Türschloss klickt, und dann hört man die schweren Schritte so nah, als durchquere jemand das Zimmer nebenan
Noch einmal legt Berndorf den Finger vor den Mund, steht vorsichtig auf, das Sesselchen behutsam zurückschiebend, und geht zu der Wand, an der das Portrait der Dame mit der weißen Papierblume hängt, und legt ganz unverfroren sein Ohr daran.
»Aber Wanja …«, flüstert Madame Tamara, die ihm gefolgt ist, doch Berndorf hebt nur warnend und beruhigend beide Hände. Tamara Feinkind zögert kurz, dann legt auch sie mit einer ebenso zierlichen wie geübten Bewegung das Ohr an die Wand.
Die Schritte sind verstummt.
Einer der Männer klingt unzufrieden. »Da hat einer bereits die Platte geputzt.« Es ist nicht die laute Stimme und auch nicht die, die Bedenken vorbringt. Drei Männer also: der Laute, der Bedenkenträger und der, der das Sagen hat
»Er selber?« Die laute Stimme. Plötzlich weiß Berndorf, dass er sie kennt. Es ist Regulskis Stimme. Schon vorhin hätte er sie erkennen müssen, allein schon an diesem: »Meister!«
»Warum hat er dann die Aufenthaltsgenehmigung hiergelassen?«
»Wenn er sowieso abhauen will …« Wieder der leitende Jonas.
»Vielleicht sollen wir das glauben.«
Einer der Männer, der einen nicht ganz so schweren Schritt hat, geht noch einmal das Zimmer ab. Dann wieder die Stimme des Mannes, der das Sagen hat:
»Sind Ihnen in den letzten Tagen hier im Haus Fremde aufgefallen?«
»Ach Herr Kommissar« – die bedenkliche Stimme, ein wenig vernuschelt – »was glauben Sie, ich muss mich ja nicht nur um das Haus hier kümmern, wir haben noch jede Menge anderer Objekte …«
»Kümmern!«, echot der Mann, der das Sagen hat und also offenbar ein Kommissar ist. »So sieht mir das Haus auch aus, Sie Kümmerer! Ich hab genug gesehen.«
Die Schritte entfernen sich, die Wohnungstür des Appartements Sirko wird zugezogen und abgeschlossen.
Berndorf und Madame Tamara lösen sich von der Wand und sehen sich etwas beschämt an, als sei jedes Horchen immer und grundsätzlich peinlich.
»Diese eine Stimme – das war der Hausverwalter?«, will Berndorf wissen, und noch immer spricht er gedämpft.
»Schweigen Sie, Wanja …!« Mit einer gespielten Geste hält sie beide Hände vor die Ohren. »Von diesem Kroppenschmitt … also, von dem will ich nichts hören, gar nichts, und nichts wissen. Eigentlich kann man so auch gar nicht heißen, aber der schon …«
»Die anderen Stimmen haben Sie nicht erkannt?«
»Wanja – woher?«
»Sagten Sie nicht, es seien gestern schon einmal Leute da gewesen? Da dachten Sie doch zuerst auch, es sei Zlatan?«
»Ja, aber das waren andere. Sie hatten so einen Kasten dabei, es war nämlich wegen des Thermostaten, eine Unstimmigkeit, wissen Sie, bei mir ist aber alles in Ordnung.«
»Können Sie die Männer beschreiben?«
»Zwei waren es, große, kräftige, so wie Sie, Wanja. Aber das gerade eben waren Deutsche, und gestern …« Inzwischen hat sich das Gesicht von Madame Tamara gerötet, vom Likör oder von der Aufregung. »Nein, gestern waren es keine … viele von denen können ja … sogar manche viel besser, meine ich … trotzdem, hören kann man es doch …«
Inzwischen stehen sie beide an dem kleinen Tisch, auf dem noch immer der vergilbte Zeitungsausschnitt liegt. Berndorf fragt, ob er den Ausschnitt behalten kann, um eine Kopie davon zu machen.
»Und Sie bringen ihn wieder, morgen vielleicht schon?« Sie wirft einen Blick auf die Sherryflasche, und ihre Miene wird bedenklich. »Leider ist … aber ich mache Ihnen gerne auch … schwarz und süß, wie die Sünde!«
N achts wollen die Geister der Knesebecks und Stülpnagels und
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