Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
mit der seinen zur Deckung bringt … Also, alles bereit und auf dem Sprung?«
    André streckt die Hand aus und schaltet das Radio ab, das neben seinem Bett steht, und wendet sich wieder dem Comic zu. Er hat die Seite aufgeschlagen, die den Jungen zeigt, wie er aus einem Versteck heraus die Soldaten beobachtet. Die Soldaten feiern, einer spielt Gitarre, die Flaschen mit Wein und Schnaps kreisen, und einer von ihnen liegt mit bloßem Hintern auf einer Frau, von der man nichts sieht als die nackten gespreizten weißen Beine, die unter dem Soldaten hervorragen, und die ausgestreckten Arme, die er an den Handgelenken gepackt hält.
    Noch immer hat André diesen Geruch nach Schnaps und Parfüm in der Nase, als wäre der Hausverwalter hier im Raum, und flüstere ihm ins Ohr und lege ihm die Hand auf die Brust. Was wäre gewesen, wenn die Polizei nicht gekommen wäre und geklingelt hätte?
    Plötzlich fällt ihm der Bilch ein, der früher manchmal zu Besuch kam und so tat, als wollte er nun der Papa sein. Aber dann stand der Bilch einmal mit seinem dicken nackten Hintern und seinem dicken wabbeligen nackten Bauch in der Küche und die Elke vor ihm, die hatte das Nachthemd hochgeschlagen und sich mit den Armen auf dem Küchentisch aufgestützt, und der dicke Bauch vom Bilch klatschte auf den nackten Po der Elke, patsch und patsch und patsch …!
    Wir haben ein bisschen geschmust, hatte die Elke danach gesagt. Da ist doch nichts dabei. Später machst du das auch. Mit ganz vielen Mädchen wirst du das tun, das weiß ich schon jetzt. Wenn du dir nur keine solche Wampe zulegst!
    Der Bilch, denkt André. Der Bilch kennt sich mit Geld aus. Leute, die welches haben, bringen es ihm, weil er so schlau ist, und er macht richtig Kasse damit. Der Bilch kann es nicht wollen, dass er sich morgen Abend vom Hausverwalter anfassen lassen muss. Gleich morgen früh …
    Andrés Glied ist jetzt nicht mehr ganz so steif, also klemmt er es sich zwischen die Beine und nimmt noch einen Teil der Bettdecke dazu, plötzlich hat er wieder den Fuseldunst in der Nase, und er stellt sich vor, dass es der Geruch des Soldaten ist.

Dienstag

M anfred Czybilla – der von allen, die ihn kennen, nur der Bilch genannt wird – steigt die Treppe zum S-Bahnhof Wannsee hoch, über dem Nadelstreifenanzug den hellen Sommermantel, denn es ist ein warmer freundlicher Morgen. In der rechten Hand trägt er den Aktenkoffer, unter dem linken hält er die beiden Zeitungen, die er am Kiosk gekauft hat. Er zieht es vor, sich nicht auf eine der vollgeschmierten Wartebänke zu setzen, stellt den Aktenkoffer zwischen beide Beine und nimmt sich – die Frankfurter Allgemeine weiter unter den Arm geklemmt – das Lügenblatt vor, das an diesem Morgen mit dem »Phantom der Charité« aufgemacht und auch richtig ein Phantombild dazugestellt hat: Eine schemenhafte Gestalt schleicht sich an ein Krankenbett und greift mit einer verbundenen Hand nach einer Brieftasche … Im Text heißt es, ein halbwüchsiger Dieb, mit einer verbundenen Hand als Patient getarnt, treibe seit Wochen in den Warteräumen und Krankenzimmern der Berliner Kliniken sein Unwesen und plündere wehrlose Patienten aus.
    Der Bilch schüttelt den Kopf. In allen Krankenhäusern wird gestohlen, das weiß er, seit er als Zivi beim Roten Kreuz Krankentransporte hat begleiten müssen, da muss man niemandem einen Vorwurf machen, wer zu schwach ist, auf sein Geld aufzupassen, dem wird es abgenommen, das liegt in der Natur des Menschen und in der Natur des Geldes. Und wozu nehmen die Leute überhaupt Geld ins Krankenhaus mit? Müssen sie vielleicht den Doktor bezahlen, dass er ihnen nicht das gesunde Bein abnimmt? Oder einen Blasenkatheter setzt statt einem Herzschrittmacher?
    So weit sind wir wohl doch noch nicht.
    Und was das Stehlen angeht und die Diebe: Wenn man ihn fragen würde, so könnte er ganz andere Geschichten erzählen. Und er bräuchte keine Phantombilder zur Illustration, ein x-beliebiges Gesellschafts- oder Wirtschaftsmagazin würde genügen, und er käme mit dem Ausschneiden der Köpfe gar nicht nach!
    Der Bahnhofslautsprecher kündigt blechern die Einfahrt der S-Bahn an, der Bilch faltet das Lügenblatt wieder zusammen und steckt es zur FAZ, dann ist der Zug auch schon da. Um diese Zeit ist die S-Bahn meistens leer, das Publikum aus Wannsee und aus den Nikolasseer Villen benutzt eher den Daimler oder Bentley, so, wie der Bilch lange Zeit auch lieber im Porsche vorgefahren ist. Aber die Zeiten sind gerade

Weitere Kostenlose Bücher