Schlangenkopf
gibt den Blick zurück, er hat gelbliche, blutunterlaufene Augen und einen grauen, grobporigen Teint.
Das kommt vom Entspannungstrinken, denkt Dingeldey.
Jemand hüstelt. Missenpfuhls Assistent will mit seinem Chef reden. Mit einer Kopfbewegung deutet er an, dass sie einige Schritte zur Seite gehen sollten.
Widerwillig tut ihm der Senatsrat den Gefallen und hört mit gesenktem Kopf, was ihm der Assistent ins Ohr flüstert.
»Was ist das!«, brüllt er plötzlich auf. »Staatsgeheimnis?! Das da?« Zornig zeigt er mit dem ausgestreckten Finger auf die Häuserfront, in der sich irgendwo das Haus mit dem rot verschmierten Büroschild des privaten Ermittlers Berndorf befindet.
Der Assistent tuschelt weiter. Doch Missenpfuhl winkt ab und geht zu Fliegauf zurück, ohne die beiden anderen Männer eines Blickes zu würdigen. »Machen Sie Ihren Job«, sagt er zu Fliegauf, »rechnen Sie mit allem … Wegen der Rechnung können der Herr Dingeldey und sein Mandant dann ja mit der Bundesrepublik Deutschland prozessieren.« Nun wendet er sich dem Anwalt zu. »Diese beiden Kennzeichen unterliegen der Geheimhaltung.« Missenpfuhl artikuliert die Worte so, als würde er sie am liebsten ausspucken. »Die Mitteilung über den Halter würde einen schweren Nachteil für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bedeuten.«
»Das habe ich mir fast gedacht«, antwortet der Anwalt, lüftet seinen breitkrempigen Hut, deutet eine leichte Verbeugung an und geht ein paar Schritte zurück. Dann bleibt er stehen und verfolgt das weitere Geschehen, die Aktentasche zwischen den Beinen, mit gekreuzten Armen und sichtlich ungerührt.
N irgends ist ein freier Parkplatz zu finden, und so stoppt Barbara Stein das Auto im absoluten Halteverbot. Vor ihnen liegt das weite Areal des Busbahnhofs, Omnibusse warten abfahrbereit, Gepäck wird eingeladen, Dieselmotoren laufen warm.
»Raus mit dir und ab nach Frankfurt!« Sie blickt auf ihre Armbanduhr. »Wenn es stimmt, was du gesagt hast, dann fährt dieser Bus in zehn Minuten.«
»Entschuldige«, sagt Berndorf, »aber ich kann jetzt nicht weg. Das ist – als ob ich davonlaufen würde.«
»Das ist nicht bloß so, als ob du weglaufen würdest«, stellt Barbara Stein klar, »sondern du läufst wirklich weg. Es ist nämlich das Vernünftigste, was du tun kannst. Wer immer diese Leute sind – sie haben dir eine Falle gestellt, und zwar mit Bosheit und Tücke. Und deshalb zahlst du es ihnen mit noch mehr Bosheit und noch mehr Tücke heim, indem du ganz einfach nicht da bist. Du bist ein kleiner schmächtiger Sanyaku, der im Sumo-Ring einem furchterregenden Fleisch- und Muskelgebirge gegenübersteht, einem Yokozuma, und das Gebirge stürzt auf ihn zu und wird ihn gleich erdrücken, aber der kleine Sanyaku witscht zur Seite, und das Gebirge purzelt Hals über Kopf aus dem Ring, den Zuschauern in der ersten Reihe in den Schoß … genau so machen wir das jetzt!«
Berndorf starrt ins Leere oder auf den Busparkplatz oder einfach vor sich hin.
»Außerdem«, fährt Barbara fort, »musst du diesen Zlatan finden. Der ist der Schlüssel zu diesem ganzen Fall. Und wenn er wie vermutet nach Frankfurt gefahren ist, kann er eigentlich nur diesen einen Bus genommen haben, den du jetzt gleich verpassen wirst, wenn du dich nicht sofort auf den Weg machst.«
Berndorf hebt die Achseln und lässt sie wieder fallen. Wortlos öffnet er die Autotür und steigt aus. Kurz bleibt er noch stehen und hält die Wagentür mit der Hand fest und tauscht einen Blick mit Barbara.
Dann schließt er die Wagentür, behutsam, beherrscht, mit gerade so viel Nachdruck wie nötig, und Barbara sieht ihm zu, wie er über die Bussteige hinweg zu dem einen Omnibus geht, der nun gleich losfahren soll, und sie wartet, bis er dort angekommen ist und bezahlen und einsteigen kann, und dann wartet sie noch immer, bis der Bus anrollt und sich auf den Weg nach Frankfurt am Main macht. Erst dann fährt auch sie los. Zuerst zurück nach Hause. Kurz duschen, ein schneller Kaffee, dann in die Uni … Irgendwer von ihnen beiden muss ja die Brötchen verdienen. Und das Geld für Dingeldeys Kostennote.
D ie Sonne scheint und ergießt ihren Glanz über das flache Land und die Industriebrache Sachsen-Anhalts, ausgerechnet an diesem Morgen muss sie das tun, nach so vielen grauen Tagen, an denen man vergeblich auf sie gewartet hat. Berndorf hat im Bus einen Fensterplatz bekommen und versucht, in seinen Mantel eingehüllt, ein wenig Schlaf nachzuholen, aber
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