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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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das Rouleau ist defekt und lässt sich nicht herunterziehen. So wärmt ihm die Sonne die Augenlider und hält ihn wach, während draußen in einem gemächlichen Tempo die Landschaft vorbeizieht, diese besondere Art von Landschaft links und rechts der Autobahnen, die nur darauf zu warten scheint, sich diese verdammten und mit Beton ausgegossenen Schneisen zurückzuholen, sie zu überwuchern, den Beton aufzubrechen und wieder Stille einkehren zu lassen. Aber das Wach-Sein bringt Gesellschaft mit sich, die er nicht mag – seine eigenen Gedanken nämlich.
    Er kommt sich lächerlich vor, und das gehört zu den Dingen, die er nur sehr schlecht erträgt. Barbara und dieser Dingeldey haben ihn weggeschickt wie ein Kind, geh nach draußen – nein: geh nach Frankfurt, spielen! Wir haben gerade Erwachsenendinge zu regeln. Aber er ist selber schuld. Ganz offenbar hat er ein paar Dinge falsch gemacht. Unverzeihlich der Fehler, die Schlapphüte merken zu lassen, dass er sie bemerkt hat. Auch hätte er kein zweites Mal zu Regulski gehen sollen, und schon gar nicht hätte er diesem von organisierter Kriminalität erzählen dürfen.
    Was würde er in Frankfurt tun? Unwillig schüttelt er den Kopf. Das wird er wissen, wenn er dort angekommen ist. Entschlossen dreht er sich nach rechts, dem Fenster und damit der Sonne den Rücken zukehrend, und beschließt, jetzt wirklich eine Mütze Schlaf zu nehmen. Aber der Busfahrer hat einen Radiosender eingeschaltet, der Werbung dudelt, warum hat er kein Ohropax dabei! Berndorf verzichtet darauf, gegen das Gedudel zu protestieren – mit dem Busfahrer will er es sich nicht verderben, er braucht ihn noch.
    In diesem Augenblick knackt es in den Lautsprechern, der Busfahrer meldet sich und kündigt eine Raststätte an, die er anfahren wird: »Eine Viertelstunde Pinkelpause, wer nicht muss, für den reicht es zu einer Zigarette!« Dann verlangsamt der Bus auch schon und biegt auf die Ausfahrt zur Raststätte ein, die heißt nicht Gröbenrauch-Bürstenich, aber wohl so ähnlich, das Schild ist vorbei, ehe Berndorf es lesen konnte. Die Pause ist auch ihm willkommen, der schon lange nicht mehr raucht, er reiht sich in den Strom der anderen ein, die zur Toilette streben, und registriert wie diese mit einigem Verdruss, dass der Zutritt nun auch schon 70 Cent kostet – hat nicht so der Niedergang des Römischen Reiches begonnen? Nein, vermutlich nicht, er bringt da etwas durcheinander.
    Die Pause ist dann doch so bemessen, dass er sich bei der Rückkehr zum Bus zum Fahrer gesellen kann, der gerade erst dazu kommt, sich eine Zigarette anzuzünden. Er nickt ihm zu, und beide betrachten sie die Bäume, die rund um die Raststätte gepflanzt sind.
    »Diese Strecke – fahren Sie die täglich?«
    Der Fahrer schüttelt den Kopf. »Nicht täglich. Den einen Tag hin und am Abend zurück, den nächsten Tag hab ich dann frei.«
    »Also sind Sie vorgestern gefahren und gestern nicht?«
    Der Fahrer grunzt zustimmend und blickt Berndorf an, als sei dieser ein wenig schwer von Begriff.
    »Vorgestern muss ein Bekannter von mir mit Ihnen gefahren sein, ein Bekannter aus Jugoslawien, das heißt, Jugoslawien gibt es ja gar nicht mehr.«
    Der Fahrer nimmt einen Zug aus der Zigarette und klopft die Asche ab. Sein Blick ist noch immer auf die Bäume gerichtet, die kahl sind und kümmerlich.
    »Mein Bekannter muss übrigens ziemlich durcheinander gewesen sein, hat Hals über Kopf nach Frankfurt fahren müssen …«, fährt Berndorf fort und überlegt, ob er nicht doch besser einen Fünfziger springen lassen sollte.
    »Ach der!«, sagt der Fahrer plötzlich, »Sie meinen den Jugo mit der halbblinden Frau! Die hat mich halb wahnsinnig gemacht, dieses Huhn! Solche Brillengläser …« – er steckt die Zigarette in den Mundwinkel und hält sich beide Hände, zu Halbkugeln geformt, vor die Augen – »… und wenn nicht Ihr Freund gewesen wäre, sie wär sonstwo gelandet. Und dann wollte sie, dass ich sie nach Heddernheim fahr, wissen Sie, Heddernheim in Frankfurt oder irgendwo dahinter, das sei doch kein großer Umweg, hat sie geplärrt, sie hätte einen Trauerfall dort, ihr Onkel …«
    »Und mein Bekannter – hat der sie nicht beruhigen können?«
    »Doch«, räumt der Busfahrer ein. »Der war ganz einsichtig und hat ihr gut zugeredet. Ein verständiger Mensch, nichts zu sagen. Er hat mich an den Trainer erinnert, den die Eintracht mal hatte, der war auch aus Jugoslawien, hat aber gut Frankfurterisch geredet, nur mit einem

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