Schlangenkopf
bald sowieso nicht mehr an, und keiner hätte mehr unser Haus mit einem in New York oder London verglichen … Unter uns sprachen wir davon, dass es so nicht weitergehen könne, mit unserem Hotel nicht und mit Jugoslawien auch nicht, aber der Küchenchef meinte, bevor es besser werden könnte, würde es erst viel schlechter werden, unvorstellbar viel schlechter. Und plötzlich war er weg, und das Einzige, was wir von ihm noch bekommen haben, war eine Ansichtskarte aus New York, es gehe ihm gut, schrieb er, und wer einen guten Burger zuwege bringt, der brauche sich nicht zu sorgen. Habe ich Ihnen gesagt, dass unser Haus in Rovinj ein Fünf-Sterne-Hotel war?«
Er habe es sich so vorgestellt, antwortet Berndorf und blickt auf. Der Zug wird langsamer, ein betonschwerer Bahnsteig zeigt sich im trüben Neonlicht, der Zug hält, sie sind irgendwo zwischen Mainz und Koblenz, auch hier gibt es Menschen, die aussteigen und sich auf ihre Hausschuhe freuen oder auf ein warmes Bett.
»In dieser Zeit wurde dann in unserer Fachzeitschrift ein gut eingeführtes Café angeboten, in einer kleinen Stadt an der Una«, fährt Zlatan fort, als der Zug wieder Fahrt aufnimmt, »die Una ist ein Fluss, und dort verläuft auch die Grenze zwischen Kroatien und Bosnien …«
»Und sehr weit weg von New York und London«, wirft Berndorf ein.
»Gewiss. Aber die Pacht war sehr günstig, eigentlich hätte mir das schon zu denken geben müssen. Dabei war es ein recht gutes Café, nicht modern, sehr klein, aber gut und solide eingerichtet. So etwas können Sie an der Küche sehen – wie ist der Herd, wie sind die Gerätschaften? Für den Mokka zum Beispiel brauchen Sie einen Ibrik, das ist ein Kännchen mit einem langen Stiel, bei uns zuhause sagt man Dzezva dazu – und ob der Mokka und damit auch das ganze Café etwas taugt, das sehen Sie schon daran, ob der Ibrik aus verzinntem Kupfer ist oder aus Messing oder wenigstens aus Edelstahl …«
»Und warum wollte es der Wirt dann abstoßen?«
»Er sagte mir, er wolle sich zur Ruhe setzen«, antwortet Zlatan, »und zwar drüben, auf der serbisch-bosnischen Seite der Una, seine Tochter und seine Enkelkinder lebten dort. Ich habe erst später begriffen, dass er Serbe war und deshalb nicht auf der kroatischen Seite bleiben wollte. Die Wahrheit ist, dass ich mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht habe, was in Jugoslawien los war. Ich hab nur dieses kleine Café gesehen und was man daraus machen kann, wenn man ein paar Dinge verändert, und dass die Pacht doch sehr günstig war. Nur – der Serbe wollte plötzlich nicht mehr verpachten, auf keinen Fall, sondern er bestand darauf, dass ich ihm das Café abkaufe.« Er schüttelt den Kopf und blickt hinaus in die Nacht, als wäre dort ein Sinn zu finden.
»Und wie viel kostet so etwas?«, fragt Berndorf.
Zlatan wiegt den Kopf. »Ein kleines Häuschen, zwei Stockwerke, im Erdgeschoß das Café, eigentlich winzig, die Lage – nun ja … Wenn mir das Café heute noch gehören würde – ich gäb es nicht unter zweihundertfünfzigtausend her, Euro, nicht Dollar.«
»Also hat es Ihnen einmal gehört«, stellt Berndorf fest.
»Ja, das hat es«, antwortet Zlatan. »Ich erzähle das nicht gern, aber …« Er blickt Berndorf an, forschend und ein wenig unsicher zugleich. »Aus irgendeinem Grund sind wir Reisende im selben Zug … Der Serbe wollte fünfzigtausend US-Dollar. Die hatte ich natürlich nicht und sagte ihm das auch. Aber er hat mich nicht gehen lassen, fast flehentlich hat er mich bedrängt, den Kaufpreis könne ich doch sicherlich finanzieren, etwa über die Staatsbank, was wirklich ein alberner Vorschlag war, weil von der Staatsbank damals weder ein müder Dollar noch eine einzige Deutschmark zu bekommen waren. Schließlich fragte er, wie viel ich denn flüssig machen könne …« Er bricht ab.
»Und«, fragt Berndorf nach einer Weile, »wie viel konnten Sie?«
»Achtzehntausend«, antwortet Zlatan mit gedämpfter, fast beschämter Stimme. »Ich habe Häuschen samt Café und Einrichtung für achtzehntausend Dollar gekauft und kam mir vor – es gibt ein deutsches Märchen, das heißt ›Hans im Glück‹, nicht wahr? So kam ich mir vor.«
»Es sind aber keine so besonders tollen Geschäfte, von denen dieses Märchen handelt«, wendet Berndorf ein. »Egal. Sie haben das Café gekauft, und wie ging es weiter?«
»Es ging damit weiter, dass ich mir nichts dachte und nichts begriff. Arbeit hatte ich genug, es war dann doch einiges
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