Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
herzurichten und zu verbessern, und ich hab mir dabei alle Mühe gegeben. Kaffee ist nicht gleich Kaffee, Mokka nicht gleich Mokka. Welche Bohnen nehmen Sie, wie fein mahlen Sie, wann lassen Sie den Mokka aufschäumen, geben Sie Kardamom dazu oder Nelken? Welches Wasser nehmen Sie? Wer hat Ihnen den Slibowitz gebrannt, und worin hat er ihn gelagert? In Eichenholzfässern oder in solchen aus Robinienholz?« Er macht eine Pause und starrt vor sich hin.
    »Was sagten die Gäste?«
    »Es kamen fast keine, jedenfalls am Anfang nicht. Einmal erschien ein Kerl, ging zum Tresen, sah sich um und bestellte nichts, und als ich ihn fragte, ob ich ihm etwas bringen dürfe, schaute er mir ins Gesicht und sagte – nein, nichts, er habe nur wissen wollen, wie ein Verrückter aussieht. Und dann ging er.« Zlatan schüttelt den Kopf. »Was sollte ich davon halten? Ich kümmerte mich nicht darum, sondern um meine Arbeit, und allmählich kamen auch mehr Gäste, der Mokka sei bei mir besser als anderswo, sagten sie. Manchmal wurde über Politik gesprochen und darüber, dass Krieg sein wird, Krieg zwischen den Serben und den Kroaten – aber was sollte mich das angehen? Ich bin Bosniake und hab mir tatsächlich eingebildet, wenn sich die Kroaten und die Serben an die Gurgel gehen, hätte ich nichts zu befürchten.«
    »Der Kerl, der den Verrückten sehen wollte – der kam nicht mehr?«
    »Nein, der kam nicht mehr. Aber Josip kam. Josip – ein großer dicker Mann – war ein Kollege, er betrieb ein Restaurant, und er war im Ort einer der Chefs der HDZ, der Hrvatska demokratska zejednica, das ist die Kroatenpartei, die damals das Sagen hatte. Ich habe ihn höflich begrüßt und gesagt, es sei mir eine Ehre, und er hat sich auch gnädig einen Mokka bringen lassen. Den kann man trinken, lobte er, und ich dachte bei mir, was will er denn und worauf will er hinaus, da fragt er auch schon, ich sei doch ein Bosniak? Sie müssen wissen, dass man das schon an meinem Namen sehen kann …«
    Berndorf nickt. Wenn Ortsgruppenleiter und Gastwirt in Personalunion auftreten, dann lässt das – so denkt er – für den Fortgang der Geschichte nur noch sehr wenig Spielraum.
    »Ich hab ihm gesagt, dass ich Cafetier bin, und er fängt erst an zu lachen und klopft sich auf die Schenkel, das sei eine wirklich gute Antwort, und ich müsse ein schlaues Köpfchen sein. Aber hier seien wir nun einmal in Kroatien, und da hätte man es nun einmal inzwischen ganz gern, wenn auch die Cafetiers Kroaten seien, und was ich denn davon halte, ihm das Café zu verkaufen, und er würde es dann an mich verpachten, oder vielmehr: ich solle es dann für ihn führen. Ahnen Sie, wie die Geschichte weitergeht?«
    »Sie haben Nein gesagt«, vermutet Berndorf, »und ein oder zwei Nächte später ist das Rollkommando gekommen, hat Ihr Café zu Kleinholz gemacht und Sie ins Lager verschleppt.«
    »Drei Nächte später«, korrigiert Zlatan, »und es war auch kein Rollkommando, sondern sie schütteten erst Benzin aus, dann warfen sie eine Handgranate. Ich bin gerade noch über die rückwärtige Treppe ins Freie gekommen, aber da hat mich dann auch schon die Ortspolizei in Empfang genommen …«
    »Die Polizei?«
    »Ja, sie haben behauptet, ich hätte das Café selbst angezündet, um Versicherungsbetrug zu begehen.« Als müsse er die eigene Hilflosigkeit und Ohnmacht beschwören, hebt Zlatan beide Hände und lässt sie wieder sinken. »Zufällig kannte ich von früher den Namen eines Anwalts in Zagreb und hab verlangt, dass man den anruft. Der Anwalt war irgendetwas in der obersten Parteileitung der HDZ, und so wussten sie nicht, was sie jetzt machen sollten und haben mich nach Dretelj gebracht, als gefährlichen Terroristen, der Sprengstoff gebunkert hat … In Dretelj, wissen Sie, hat keiner je nach einem Anwalt verlangt.«
    Zlatan lacht, oder vielmehr: er stößt die Luft durch die Nase, was eben gerade so als Lachen durchgehen mag. »Was man mit den Menschen in diesem Lager gemacht hat, das kann man mit Menschen eigentlich nicht tun. Folglich konnten wir auch keine Menschen sein, und wenn man kein Mensch ist, sondern irgendetwas tief darunter – dann kann man auch keinen Anwalt belästigen und kein ordentliches Gerichtsverfahren verlangen, wie hört sich das denn an, wenn der Richter den Streitfall ›Republika Hrvatska gegen einen Haufen Scheiße‹ aufrufen müsste? Blöd hört sich das an, das müssen Sie doch zugeben!«
    Wieder wird der Zug langsamer, durch die Nacht

Weitere Kostenlose Bücher