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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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hinzugefügt. Das ist Teil ihres privaten Codes. »Bitte« darf nur gesagt werden, wenn etwas unbedingt sein muss.
    Barbara Stein steht auf, überlegt kurz und löscht dann die Schreibtischlampe. Sie wartet, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben und das Fenster vor ihr als ein heller schimmerndes Rechteck wahrnehmen. Dann geht sie zum Fenster und späht hinaus.
    Der Wagen, der zwischen den beiden Bäumen geparkt ist, wo sonst nie ein Wagen parkt, steht noch immer da.
    B erndorf lehnt sich in seinem Sitz zurück und atmet durch. Der Intercity hat den Mainzer Hauptbahnhof verlassen und fährt nun durch die Nacht, vorbei an den Lichtbändern der Autobahnen und der ausufernden Industriequartiere. Nur manchmal ist Dunkelheit, und darin ausgeschnitten sieht er das gelb leuchtende Rechteck eines einzelnen Fensters. Er schaltet das Handy, mit dem er gerade seine Nachricht an Barbara durchgegeben hat, wieder aus – er will für niemanden erreichbar sein, und schon gar nicht will er erklären müssen, wohin er gerade unterwegs ist.
    Denn das weiß er selbst nicht so genau. Gewiss, der Intercity fährt nach Köln. Kurz nach zwei Uhr morgens werden er und Zlatan dort ankommen. Was will Berndorf in Köln? Ist es so lustig dort?
    Nein. Er und Zlatan sitzen in diesem Zug, weil sie in Frankfurt eine S-Bahn nach Mainz erwischt haben. Und weil in Mainz der Intercity nach Köln der einzige Fernzug war, den sie dort so spät am Abend noch nehmen konnten.
    Aber ist diese Route wirklich sicher? Olga hat doch gesehen, wohin die S-Bahn fährt? Aber zunächst wird ihr das nichts helfen. Sie weiß nicht, ob er und Zlatan bis Mainz gefahren oder vorher ausgestiegen sind, beispielsweise in Wiesbaden, und selbst, wenn sie es wüsste oder es sich schon wieder ausgerechnet hätte, würde sie es mit einem Taxi nicht rechtzeitig schaffen. Aber sie könnte doch irgendwelche Bravos schicken? Gewiss, aber die lassen sich nicht in einer halben oder dreiviertel Stunde rekrutieren und zum Mainzer Hauptbahnhof schicken.
    Und die Polizei? Wie immer Olgas Verhältnis zur Polizei auch sein mag – bei dem, was sie mit Zlatan und mit ihm vorhat, will sie keine Bullen dabeihaben. Sonst hätte sie sich in der Bahnhofshalle die beiden Bundespolizisten gekrallt.
    Also? Also Köln. Das Weitere wird sich finden. Berndorf betrachtet Zlatan, der ihm gegenübersitzt, in den Ledermantel gehüllt, den sie im Benz gefunden haben und der wohl jenem Mann gehörte, der jetzt und in alle Ewigkeit keinen Bedarf mehr für solche Kleidungsstücke hat. Zlatan schläft nicht, sondern stiert vor sich hin, mit dem müden und gleichgültigen Gesichtsausdruck eines Menschen, der weder weiß, warum er in diesem Zug sitzt, noch, wo er ein Bett für die Nacht finden soll.
    »Sie haben mir noch immer nicht erzählt, warum es der Mokka war«, sagt Berndorf in das Schweigen hinein.
    »Bitte?« Zlatan schreckt hoch, als habe er gedöst. »Der Mokka, gewiss doch. Wissen Sie, ich rede nicht so gern darüber …«
    Berndorf sagt nichts und wartet.
    »Als es noch das alte Jugoslawien gab«, beginnt Zlatan und fährt sich mit der Hand über die Augen, als könne er so die Müdigkeit daraus vertreiben, »war ich Chef de rang in einem … ja doch, recht guten Hotel in Rovinj, das ist eine sehr schöne Stadt, waren Sie einmal dort?«
    Berndorf nickt, er erinnert sich an eine Stadt, die eine Insel ist wie Lindau am Bodensee, mit Barbara war er einmal dort, Barbaras Augen so grün und das Meer so blau und die Dächer ockerfarben.
    »Ich hätte zufrieden sein sollen«, fährt Zlatan fort, »aber das ist das, was die Menschen am allerwenigsten können. Aber vielleicht lag das auch nicht an mir allein. Ich erinnere mich, unsere Küche war einmal ganz neu, ganz modern, italian design , ein Haus in New York oder London hätte das nicht besser gehabt, einen Sommer lang oder zwei war das so, aber auf einmal sehe ich an der Küchenwand einen Riss, einen haarfeinen Riss, der sich durch die Platten – nein: so sagt man nicht – der sich durch die Fliesen zieht, und ich sage zum Küchenchef, dass das repariert werden muss, sonst setzt sich Feuchtigkeit fest, und der Riss wird breiter, und Ungeziefer nistet sich ein … Ja, sagt der Küchenchef, das muss wohl gemacht werden.«
    »Aber es ist nicht gemacht worden?«
    »Nein, in dem einen Winter nicht und in dem nächsten auch nicht. Und der Riss wurde immer breiter, aber ich habe nichts mehr zum Küchenchef gesagt, auf den einen Riss kam es dann

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