Schlangenküsse
Mündung der Waffe zielte direkt in das Gesicht der Menschenschlange.
Ich hatte keine Skrupel, die Kugel zwischen die Augen zu setzen. Es ging schließlich um mein Leben.
Die Schlange hatte meiner Schätzung nach etwa die Hälfte der Strecke zwischen ihr und mir zurückgelegt. Als normales Tier wäre sie weiter auf mich zugeglitten, da hätte sie die Bedeutung der Waffe überhaupt nicht erfasst, aber sie konnte denken, sie konnte menschlich handeln, und plötzlich stoppte sie ihre Bewegung, als sie die Waffe sah.
»Du willst schießen?«, flüsterte sie mir entgegen.
»Was sonst?«
»Ich bin nicht zu töten.«
»Darauf lasse ich es ankommen.«
Sie öffnete langsam den Mund. Ich sah wieder die Zunge und konnte sogar in ihren Rachen hineinschauen, so nahe war sie an mich herangekommen. Aus der Kehle löste sich ein Geräusch, das wohl ein Lachen sein sollte. Mich allerdings erreichte es nur als ein kehliges Krächzen.
Auch die Augen sah ich aus der Nähe. Von einer Farbe konnte man kaum sprechen. Okay, sie waren dunkel, aber auch mit einem gewissen Schimmern versehen.
Der Kopf schob sich wieder vor. Er musste noch näher an mich heran, um zuzubeißen.
Die Chance gab ich ihm nicht mehr, denn ich drückte ab.
Der Schuss klang nicht mal laut. Das dichte Blätterwerk um mich herum dämpfte den Knall. Ich hatte die Augen auch nicht geschlossen, weil ich sehen wollte, was meine geweihte Silberkugel anrichtete.
Sie traf das Gesicht in der Mitte!
Ich hatte mich von der Vorstellung befreit, auf das Gesicht eines Menschen geschossen zu haben. Das hier war eine Mutation, die mit einem Menschen nur noch wenig zu tun hatte.
Der Körper zuckte in die Höhe. Ich hörte so etwas wie einen kratzenden Schrei, dann geriet auch der Körper in Bewegung. Es schleuderte seinen hinteren Teil von oben nach unten, aber ich konzentrierte mich ausschließlich auf das Gesicht, das keines mehr war, denn dieser eine Treffer hatte es zerstört.
Es war durch die Kugel regelrecht weggeplatzt, als hätte ich ihm eine Handgranate zwischen die Zähne gerammt. In Fetzen flogen die Teile davon, und aus der Öffnung löste sich eine dicke, grüne Masse, ein Strom von Aibon-Blut, das in einem schweren Strahl in die Tiefe sackte.
Auch der Körper fiel. Die Kraft, sich an einem Ast festzuhalten, war verloren gegangen. Auf dem Weg nach unten hielt ihn nichts auf. Er schlug einige Male gegen ein Hindernis und brachte die Blätter in Bewegung, die gegeneinander raschelten. Er brach schwächere Zweige ab, die ebenfalls in die Tiefe fielen, und ich sah nicht, wo die tote Carol Morgan landete.
Ja, ich ging davon aus, dass sie endgültig vernichtet war. Sie würde nicht mehr durch das Paradies der Druiden schleichen und nach Opfern suchen.
Ich hockte weiterhin auf der Astgabel und hielt mich mit der linken Hand fest. Meine Augen waren in Bewegung. Ich hatte die Stimmen der anderen Mutationen nicht vergessen. Aber sie hielten sich auch jetzt verborgen. Selbst die Blätter in der Baumkrone bewegten sich nicht mehr. Der Schock über den Tod ihrer Artgenossin musste sie paralysiert haben.
Die erste Bedrohung war ich gut losgeworden. Eine zweite und dritte war noch nicht in Sicht, und so atmete ich durch. Auch mein Herz hatte stärker geklopft als gewöhnlich, aber es beruhigte sich wieder.
Von Suko, der am Boden auf mich wartete, hörte ich keine Reaktion. Das wunderte mich schon. Bevor ich dazu kam, ihn selbst zu fragen, fing das Geschrei an.
Überall um mich herum bewegte sich jetzt das Blätterwerk. Die schrillen Stimmen malträtierten meine Ohren. Sie drangen aus allen Richtungen auf mich ein. Sie brüllten, sie waren wütend, aber sie zeigten sich nicht. So sehr ich auch schaute, der Bewuchs war einfach zu dicht, und ich ließ meine Waffe sinken, um sie dann wegzustecken. Im Moment wäre sie nur hinderlich gewesen.
Ich hatte keine Lust mehr, nach ihnen zu suchen. Nicht hier oben in dieser fremden Umgebung. Außerdem war ich kein Affe, der sich leicht von Ast zu Ast schwang. Das hier oben war einfach nicht meine Welt. Wäre ich in die Krone des Baumes hineingeklettert, hätten die Schlangen dort alle Vorteile für sich gehabt.
So nahm ich mir vor, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Außerdem sorgte ich mich um Suko. Er hatte noch immer nicht auf den Schuss reagiert.
Der letzte Blick in die Runde. Gewissermaßen ein Abschluss. Auch der brachte nichts Neues.
Der Weg nach unten war für mich leichter als der nach oben. Ich musste
Weitere Kostenlose Bücher