Schlangenküsse
längst wie eine zweite Haut, und auf meiner Oberlippe hatte er sich abgesetzt.
Für mich waren die Worte keine leeren Drohungen. Aber Carol hatte auch in der Mehrzahl gesprochen, wenn sie ihre Sekte erwähnte. Von ihren Artgenossinnen sah ich jedoch nichts. Zudem war ich nicht scharf darauf, doch aus meiner Erinnerung konnte ich sie auch nicht vertreiben.
Carol hatte genug gesagt. Sie wollte mich holen. Ich hatte gesehen, dass sie sich mit ihrem Körper um einen starken Ast gedreht hatte. Von dort löste er sich jetzt, und sie drückte sich mit einer sacht gleitenden Bewegung nach vorn, wobei der Kopf die Unterlage als Halt verlor und in der Luft schwebte, was ihr aber nichts ausmachte. Sie verhielt sich wie eine Schlange, denn immer wieder ließ sie die gespaltene Zunge aus dem Mund schnellen. Die mit Gift gefüllten Schlangenzähne sah ich jedoch nicht.
So einfach würde ich mich nicht fertigmachen lassen. Da ich das Kreuz vergessen konnte, musste ich mich auf die geweihten Silberkugeln verlassen. Das Kaliber neun Millimeter würde auch für eine verdammte Schlange ausreichen.
Das Gesicht war und blieb vorhanden. Immer wieder huschte die Zunge aus dem Mund. Ich fragte mich, wie sich eine Gestalt fühlen musste, die einen Schlangenkörper und ein menschliches Gesicht hatte.
Vermutlich dachte die Mutation menschlich, da das Gehirn noch vorhanden war. Es lenkte die Gedanken, aber der Körper selbst konnte sich nicht anders bewegen.
Wieder waren die Stimmen da. Zuerst realisierte ich sie nicht so richtig. Ich hatte eher das Gefühl, als hätte der Wind die Blätter berührt und sie gegeneinander geschabt und damit ein raschelartiges Flüstern geschaffen.
Sehr schnell hörte ich die ersten Worte.
»Hol ihn...«
»Beiß ihn...«
»Gib ihm unser Gift...«
»Der Keim soll ihn vernichten...«
»Wir können ihn dann töten...«
Die Stimmen wechselten sich ab. Ich hatte dabei immer wieder meinen Kopf gedreht, weil ich die Sprecherinnen suchte, denn ich hörte nur Frauenstimmen.
Sie zeigten sich nicht und hatten es raffiniert angestellt. Die Belaubung des Baumes war dicht genug, um sich darin verstecken zu können. So hatte ich das Nachsehen.
Auch Carol hatte die Stimmen vernommen. Ihr Interesse an mir ließ nach. Der obere Teil des Schlangenkörpers bewegte sich. Sie drehte ihren Kopf mal nach rechts, dann in die entgegengesetzte Richtung, und wieder öffnete sie ihren Mund, um mir etwas zu sagen.
»Hast du es verstanden?«
»Sicher.«
»Glaubst du noch an eine Chance?«
»Ich lebe.«
»Aber bald nicht mehr so wie jetzt. Das kann ich dir versprechen. Du wirst eine völlig andere Welt erleben, einen anderen Zustand. Du hättest nicht so neugierig sein sollen. Mason Carter hat dafür bezahlen müssen, und bei dir wird es das Gleiche sein.«
Ich hatte zugehört und mich dabei nicht auf Carol konzentriert, sondern auf die Schlangen in der Umgebung. Aber auch sie waren für mich nicht sichtbar. Sie hatten ihre Verstecke nicht verlassen und beobachteten mich aus ihren Deckungen hervor. Das Laub schützte sie. Zwischen den Blättern gab es noch genügend Lücken, durch die sie mich beobachten konnten.
Sie wollte den Vorsatz in die Tat umsetzen. Es war schon unglaublich, wie sich die Schlange mit dem Menschenkopf bewegte. Mit dem hinteren Teil des Körpers fand sie ihren Halt an einem dicken Ast. Die andere Hälfte schwebte auf mich zu. Sie benötigte keinen Halt. Ich hatte das Gefühl, dass es zwischen mir und ihr einen Tunnel oder eine abgeteilte Strecke gab, durch die sie auf mich zuglitt.
Ich konzentrierte mich auf den Kopf und damit auf das Frauengesicht. Es war nicht mal hässlich. Auch nach der Verwandlung hatte sich Carol Morgan nicht verändert. Wären da nicht die starren Augen gewesen und die immer wieder aus dem Mund hervorschnellende Zunge, hätte man keinen Unterschied zu einem normalen Menschen feststellen können.
Wenn sie es schaffte, mich zu beißen, war ich verloren. Allein der Gedanke daran, dass sich das Gift in meinem Körper ausbreitete und für eine Veränderung sorgte, ließ mich noch stärker schwitzen. In meinem Magen stieg Übelkeit auf.
Ich hatte noch immer einen recht sicheren Halt im Baum. Die anderen Frauenstimmen meldeten sich nicht mehr. Wahrscheinlich waren die Schlangen jetzt gespannte Zuschauer, und ich zog mit einer hundert Mal geübten Bewegung meine Beretta.
Ich streckte den rechten Arm vor und hatte sogar das Glück, ihn an einem Ast abstützen zu können. Die
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