Schlangenlinien
so?«
»Ein bisschen.«
»Ich hab meine Mutter nie gekannt«, sagte Beth. Sie schob ein ganzes Sortiment Armbänder zu ihrem Ellbogen hinauf, als sie den Wassertopf zum Spülbecken trug und das Wasser aufdrehte. »Jedenfalls nicht meine leibliche Mutter. Sie hat mich zur Adoption freigegeben, als ich noch ein Säugling war. Meine Adoptivmutter ist toll – mein Vater auch –, sie lieben Al und sie lieben die Kinder. Sie haben mich mal gefragt, ob ich meine richtige Mutter suchen wollte, aber ich hab abgelehnt. Ich meine, es gibt doch keine Garantie dafür, dass ich sie mögen würde – wenigstens jeder Zweite, den ich kenne, kann seine Eltern nicht ausstehen. Weshalb sollte ich also meine Zeit damit verschwenden, sie zu suchen?«
Ich sagte nichts.
»Sie halten das für falsch?«
»Nein, gar nicht«, antwortete ich mit einem Lächeln. »Ich habe nur gerade gedacht, was für eine vernünftige junge Frau Sie sind und was für ein Glück Alan gehabt hat, dass er Sie gefunden hat.« Ich dachte außerdem an eine Bemerkung, die ein Schulpsychologe einmal über Alan geschrieben hatte. ‘Er sollte ermutigt werden, starke und positive Bindungen an Erwachsene aufzubauen... Er braucht das Gefühl, geschätzt zu werden...’
»Und Danny haben Sie offensichtlich auch gut getan. Er spricht mit sehr viel Zuneigung von Ihnen.« Sie errötete bei meinen Worten. »Was ist eigentlich mit den Schwestern?«, fragte ich. »Sehen Sie die auch manchmal?«
Dieses Thema schien ihr nicht so sympathisch zu sein; das Stirnrunzeln kehrte zurück. »Die beiden hab ich das letzte Mal bei Tansys Taufe gesehen, und das war vor drei Jahren. Al meinte damals, wir sollten es noch einmal versuchen, also haben wir sie eingeladen, und natürlich sind sie prompt über Al und mich hergefallen. Genau wie immer. Haben Tansy das ganze Fest verdorben... Damit war die Sache für uns erledigt. Das Leben ist zu kurz, um sich freiwillig solchen Ärger anzutun.« Sie fegte ein paar Krümel vom Tisch in ihre geöffnete Hand, und ich starrte wie gebannt auf die klappernden Reifen an ihrem Arm. »Al meint, es ist der blanke Neid, weil wir ganz gut zurechtkommen und sie nicht... die eine hat vier Kinder und keinen Mann, weil er abgehauen ist, als sie das letzte Mal schwanger wurde – die andere hat fünf Kinder von verschiedenen Vätern, und zwei von ihnen sind im Heim.«
»Wo leben sie?«
»In einer großen Siedlung in der Nähe von Heathrow.«
»Zusammen?«
»In Nachbarblocks. Die Kinder treiben sich den ganzen Tag mit ihren Banden auf der Straße rum und terrorisieren die alten Leute, die dort wohnen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Verwarnungen von der Polizei die schon bekommen haben. Neulich hat mir jemand erzählt, dass die Gemeinde Sally und Pauline mit gerichtlichen Verfügungen dazu zwingen will, ihre Kinder im Haus zu halten – aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Das Schlimmste ist, dass sie schon seit einiger Zeit versuchen, hier, in unserer Gegend, eine Wohnung zu kriegen. Ich hab zu Al gesagt, wenn die hierher kommen, müssen wir sofort umziehen. Ich schau bestimmt nicht dabei zu, wie diese Früchtchen meine Kinder verderben.« Sie goss den Tee ein und gab genau wie ihre Schwiegermutter automatisch Milch dazu. »Al behauptet immer, man kann seinen Schwestern keine Schuld geben«, fuhr sie fort, als sie mir eine Tasse reichte. »Sie hätten eine schlimme Kindheit gehabt. Aber wenn man es so betrachtet, müssten Danny und er genauso übel sein wie die beiden, nicht wahr?«
Sie erinnerte mich an Julia Charles, unsere Nachbarin in der Graham Road. Die hatte die gleiche Angst vor dem schlechten Einfluss anderer auf ihre Kinder gehabt. Nur hatte sie Alan Slater und Michael Percy im Visier. Diese beiden Jungs sind grässlich, pflegte sie zu sagen, und Schuld haben einzig die Eltern. Wenn ihre Mütter sich mehr für die Kinder interessierten und weniger für Männer und Alkohol, würden sich die Kinder nicht so aufführen.
»Das klingt ja, als hätten sie die Rollen getauscht«, meinte ich erstaunt. »Die beiden Mädchen machten immer einen so braven und vernünftigen Eindruck, als sie noch Kinder waren. Aber vielleicht hatten sie auch nur zu große Angst vor ihrem Vater, um Dummheiten zu machen. Ab und zu sind sie Alan nachgelaufen, aber nie weiter als bis zum Ende der Straße. Sie waren beide klein und dunkel wie ihre Mutter. Sally ist die Ältere von beiden, nicht wahr?«
Beth nickte.
»Sie waren mit zwei anderen kleinen Mädchen
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