Schlangenlinien
machen – er kommt fast nie vor zehn Uhr abends nach Hause.« Das Stirnrunzeln vertiefte sich. »Aber warum wollen Sie ihn denn überhaupt besuchen? Die meisten seiner Lehrer waren froh, ihn für immer los zu sein.«
»Ich auch«, sagte ich aufrichtig. »Die meiste Zeit kam er überhaupt nicht zum Unterricht, und wenn er kam, hat er nur gestört. Ich hab mir oft gewünscht, er wäre geblieben, wo der Pfeffer wächst.« Ich lächelte, um meinen Worten den Stachel zu nehmen. »Aber dann hab ich einmal tief Luft geholt, mir vor Augen gehalten, was für einen Vater er hatte, und einen neuen Versuch gemacht. Die Vorstellung, dass er so werden würde wie sein Vater, war entsetzlich. Aber nach allem, was Danny mir über Sie und die Kinder erzählt hat, ist das ja zum Glück nicht eingetroffen.«
Die Neugier gewann die Oberhand, wie ich gehofft hatte. »Ich habe seinen Vater nie zu Gesicht bekommen«, sagte sie interessiert. »Er war schon lange weg, als ich Al kennen lernte, aber ich habe nicht viel Gutes über ihn gehört. Haben Sie ihn gut gekannt?«
»O ja. Er drohte mir einmal, mich fertig zu machen, und ich habe ihn daraufhin angezeigt, weil ich hoffte, man würde ihn verhaften.« Unschlüssig drehte ich mich nach dem Taxi um. »Ich habe den Fahrer gebeten zu warten, für den Fall, dass Sie nicht zu Hause sein sollten, aber ich glaube, er lässt die Uhr laufen.«
»Typisch«, stellte sie fest. »Die nehmen einen aus, wo sie können – lauter Bescheißer. Entschuldigen Sie das drastische Wort. Wollen Sie nicht auf eine Tasse Tee reinkommen? Wir können ja später ein Minitaxi rufen. Wenn Sie Glück haben, kommt Al ja ausnahmsweise einmal pünktlich nach Hause. Es kommt ja schließlich nicht alle Tage vor, dass eine ehemalige Lehrerin von ihm uns besucht.« Sie neigte wie abwägend den Kopf zur Seite. »Ich muss allerdings sagen, mit den alten Scharteken, bei denen ich Unterricht hatte, haben Sie wenig gemeinsam.«
Mit einem dankbaren Lächeln für die Einladung zum Tee und das Kompliment – und einem stummen Gebet, dass Alan
nicht
früher als sonst nach Hause kommen möge – folgte ich ihr ins Haus, nachdem ich den Taxifahrer bezahlt hatte. Die Inneneinrichtung spiegelte in vielen Details Beths handfestes, praktisches Wesen: Die Farben waren einfach und klar – wobei sie offensichtlich Terracotta und Strohgelb bevorzugte; die Böden pflegeleicht – unbehandelte Holzdielen im Flur und Kork in der Küche; die Möbel waren so gestellt, dass sie viel Raum ließen und für die Kinder keine gefährlichen Hindernisse bildeten. Es wirkte harmonisch und gemütlich, und als ich ihr das sagte, war sie erfreut, aber nicht überrascht.
»Etwas in der Richtung möchte ich später mal beruflich machen, wenn die Kinder beide in der Schule sind«, sagte sie. »Die Häuser anderer Leute einrichten. Ich glaube, ich hab ein Talent dafür, und ich seh nicht ein, warum ich in einer Fabrik arbeiten soll, wenn ich mit etwas, das mir echt Spaß macht, Geld verdienen kann. Ich mache alles selbst – Alan ist abends, wenn er heimkommt, zu müde, um noch Böden abzuziehen –, und die meisten Freundinnen von mir platzen vor Neid, wenn sie uns besuchen. Die einen bilden sich ein, Frauen könnten so was nicht, und die anderen sagen, es wäre ihnen viel zu peinlich, in den Geräteverleih zu gehen und nach Werkzeugen zu fragen, von denen sie nicht mal den richtigen Namen wüssten.«
Ich pirschte mich vorsichtig an der Dogge vorbei, die sich der Länge nach auf einem flauschigen Teppich vor dem Kochherd ausgestreckt hatte. »Was haben Sie denn vor Ihrer Ehe gearbeitet?« Ich zog mir einen Küchenstuhl heraus und ließ mich rittlings darauf nieder. Der Hund hob den Kopf und warf mir einen feindseligen Blick zu. Als Beth kurz und scharf mit den Fingern schnalzte, gähnte er und entspannte sich wieder.
»Ich war Friseuse«, antwortete Beth mit einem Lachen. »Und ich habe diese Arbeit gehasst. Frisuren wollte ich machen, aber meine ganze Tätigkeit bestand darin, quengeligen alten Weibern, die nichts Besseres zu tun hatten, als über ihre Männer zu schimpfen, Blautönungen zu verpassen. Sie hätten diese Frauen hören sollen, es war ganz egal, ob die armen alten Kerle noch am Leben waren oder nicht, sie wurden alle durch den Kakao gezogen. Er ist geizig – er ist dumm – er tröpfelt den Toilettensitz voll... ehrlich! Da kann einem die Freude aufs Altwerden vergehen.«
Ich lachte. »Hört sich an wie meine Mutter.«
»Ist die
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