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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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einer ihrer Nachbarn einem plötzlichen Impuls nachgegeben und sie auf die Straße hinausgestoßen hat? Es war dunkel. Es hat in Strömen geregnet. Sie war total übergeschnappt und den Leuten ein Dorn im Auge. Die Straße war leer – und da kam gerade ein Lastwagen. Ein schneller Stoß, schwuppdiwupp, das Problem ist gelöst. Keine Schwarzen mehr in der Straße, und sofort schnellen die Grundstückspreise in die Höhe.« Ich zog ironisch eine Augenbraue hoch. »Kein Mensch hat je behauptet, dass ihre Ermordung geplant war, Sam.«

    Zwei Tage später kam mit der Post ein mit der Aufschrift ‘Annie Butts’ versehener Hefter voller Fotokopien. Sheila Arnold hatte ihn geschickt und eine kurze Notiz beigelegt. »Vielleicht interessiert Sie das Beiliegende«, schrieb sie. »Es ist leider nicht viel, weil ich aufgegeben habe, als mir klar wurde, dass ich gegen Mauern rannte. P.S. Ich freue mich, dass wir einander wiederbegegnet sind.«
    Rein zufällig fuhren Sam und ich am selben Tag zum Mittagessen nach Weymouth, und Sam regte sich über einen Mann auf, der mich seiner Meinung nach ständig anstarrte. Wir hatten uns in ein Pub mit Blick auf den Hafen gesetzt. Die Tische standen im Freien, wir konnten die Sonne genießen und zusehen, wie die Drehbrücke in die Höhe ging, wenn Jachten ein- oder ausliefen. Es war hübsch, hier eine Weile zu sitzen und zu faulenzen – alte Häuser aus dem achtzehnten Jahrhundert, davor die mit Kopfsteinen gepflasterte Kaianlage und von Wind und Wetter mitgenommene Kutter, von denen kistenweise Engelbarsche und Krebse abgeladen wurden. Aber Sam begann bald über den Wirt zu meckern, der immer wieder an die Tür kam, um mich anzustarren, und mir verging die Freude an der Idylle. Ich trug eine dunkle Sonnenbrille und musterte verstohlen den Mann. Er war mager und räuberisch, wie er immer gewesen war, und zweifellos auch noch genauso tückisch. Aber er sah besser aus als Joseph Stalin – oder Joseph Stalins Bruder...
Polizeibericht
    Datum: 15.11.78
    Zeit: 11.15 Uhr
    Zuständiger Beamter: P. S. Drury, Polizeidienststelle Richmond
    Anlass: Amtlich genehmigte Besichtigung des Anwesens Graham Road 30 in Richmond nach dem Tod der Eigentümerin, Miss Ann Butts. Nachbarn hatten gemeldet, dass in dem Haus mehrere Katzen eingeschlossen seien. Familienangehörige waren nicht zu erreichen.
    Anwesende Beamte: P. S. Drury, P. C. Andrew Quentin. Ebenfalls anwesend: Tierschutzbeauftragte John Howlett, Tony Barrett

    Das Haus wurde mit einem Yaleschlüssel geöffnet, den Miss Butts zum Zeitpunkt ihres Todes an einer Schnur um den Hals trug. Drinnen war es sehr kalt, es gab keine Zentralheizung. In den beiden Erdgeschossräumen standen Gasöfen, aber sie waren zum Zeitpunkt der Besichtigung nicht in Betrieb. Die Fenster waren alle geschlossen, nur in der hinteren Toilette war das kleine Fenster nicht richtig geschlossen, weil der Riegel defekt war.
    Nachbarn hatten die Beamten informiert, dass sich mindestens zwanzig Katzen im Haus befänden. In der Diele roch es durchdringend nach Katzenurin. Im Inneren war das Haus schmutzig und verwahrlost – besonders schlimm sah es in der unteren Toilette und im oberen Badezimmer aus, wo die Toilettenspülung nicht betätigt worden war und verunreinigtes Papier auf dem Boden lag. In den beiden Erdgeschossräumen wurden menschliche Exkremente gefunden. An den Küchenwänden waren Kartons mit leeren Wodkaflaschen gestapelt.
    In der Küche war der Geruch von Katzenurin besonders stark. Katzenstreu war über den ganzen Linoleumboden verteilt, und die Tiere hatten überall ihre Spuren hinterlassen. Die Tierschutzbeauftragten stellten mit Besorgnis fest, dass Ann Butts eine kleine Kommode vor die Katzenklappe geschoben hatte, die sie auf Anraten der Beauftragten bei einem früheren Besuch angebracht hatte. Die Wände entlang standen zahlreiche Futter- und Wassernäpfe, die aber alle leer waren.
    Eine Durchsuchung der Küchenschränke ergab, dass die Vorratshaltung dürftig war und die vorhandenen Nahrungsmittel weder für Ann Butts selbst noch für die Kolonie von Katzen ausreichend waren, die sie bei sich untergebracht hatte. Es waren kaum Konserven oder abgepackte Lebensmittel vorhanden. Der Kühlschrank enthielt allerdings 15 Ein-Liter-Packungen Milch und etwas rohes Fleisch, hauptsächlich Huhn. »Sonderpreis«-Aufkleber legten nahe, dass Miss Butts die Waren billig eingekauft hatte; nachfolgende Ermittlungen bei einem örtlichen Supermarkt ergaben, dass sie

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