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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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lauschte einen Moment dem Gemurmel ruhiger Stimmen draußen auf der Terrasse. »Na, bis jetzt scheinen sie ja noch ganz friedlich zu sein. Hoffen wir, dass du dir unnötig Sorgen machst.«
    »Was meinst du wohl, wie lange noch? Du kannst doch nicht vergessen haben, wie aufgebracht Sam nach dem Tod dieser Frau war. Was um Himmels willen ist in dich gefahren, dass du so bald nach seinem Infarkt diese üble Geschichte wieder aufrühren musstest? Möchtest du, dass er gleich noch einen bekommt?«
    Ich fand eine Glaskaraffe, füllte sie mit Wasser und stellte sie auf das Tablett. »Er scheint bisher nicht weiter beunruhigt zu sein«, stellte ich fest, »aber frag ihn ruhig selbst, wenn du mir nicht glaubst.« Ich nahm das Tablett. »Ich denke, wir haben alles. Kannst du die Zitronen mitnehmen?«

    Wir redeten über Gott und die Welt, nur nicht über Annie Butts. Aber sie war unter uns. Das zeigte sich in der beharrlichen Weigerung meines Vaters, meiner Mutter in die Augen zu sehen; in Sams offenkundigem Unbehagen, wenn unser Umzug nach Dorchester zur Sprache kam; in dem peinlich koketten Getue, mit dem meine Mutter ihre Männer wieder für sich zu gewinnen versuchte. Als deutlich wurde, dass sie meine Anwesenheit völlig überflüssig fand, tat ich ihr den Gefallen und ging ins Haus, um das Mittagessen zu machen. Zehn Minuten später brach auf der Terrasse ein Riesenstreit aus. Ich fing nur hier und da ein paar Wortfetzen auf, aber es ging so hitzig zu, besonders zwischen meinen Eltern, dass die schnell lauter werdenden Stimmen durch die ganze Küche schallten.
    Es gereicht mir natürlich nicht zur Ehre, aber ich muss sagen, ich genoss jeden Moment. Es befriedigte meine kleinlichen Rachegefühle, und ich applaudierte meinem Vater im Stillen, als er zu meiner Mutter sagte, es sei jammerschade, dass ihr das Leben offenbar so wenig Interessantes zu bieten habe, dass sie den Mangel beheben müsse, indem sie Zwietracht in der Familie säe.
    Das Schweigen, das eintrat, als ich mit Salatschüsseln beladen wieder auf der Terrasse erschien, wollte kein Ende nehmen. Ich weiß noch, dass mir in dem Moment in den Sinn kam, wie viele Wespen es in diesem Sommer gab. Brummend schwirrten sie um die süßlich duftenden Weingläser, und während ich sie beobachtete, überlegte ich, ob irgendwo in der Nähe vielleicht ein Nest war, das ausgeräuchert werden musste. Ich erinnere mich auch noch, gedacht zu haben, dass Wespen lange nicht so gefährlich sind wie Menschen, und dass ein Stich von ihnen eine Lappalie ist im Vergleich zu dem Gift lang unterdrückten Grolls.

    »Warum bleibt dein Vater bei ihr?«, fragte Sam mich an diesem Abend im Bett.
    »Weil er alles, was er anfängt, auch zu Ende bringt.«
    »Ist das der einzige Grund, warum die beiden noch zusammen sind? Weil dein Vater Pflichtgefühl besitzt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Was gibt's noch für einen Grund?«
    »Liebe«, sagte ich. »Er ist ein sehr liebevoller Mensch und gibt den anderen nie auf.«
    »Aha. Wie der Vater, so die Tochter, hm?«

    * * *

    Schreiben von Dr. Joseph Elias, Psychiater am Queen Victoria Hospital, Hongkong
    Queen Victoria Hospital,
    Hongkong
    (Psychiatrische Abteilung)
    Mrs. M. Ranelagh
12 Greenough Lane
Pokfulam
    14. Februar 1980
    Hongkong
    Liebe Mrs. Ranelagh,

besten Dank für Ihren Brief vom 3. Juli. Ich bedaure es, dass Sie eine weitere Therapiesitzung für unnötig halten, zumal Ihr Hinweis auf »eine neue Gelassenheit« nahe legte, dass unser letztes Gespräch eine gewisse Hilfe für Sie war. Doch es besteht, wie Sie richtig sagen, keinerlei Verpflichtung für Sie zur Fortsetzung der Therapie.
    Ich habe eingehend über die Frage nachgedacht, die Sie mir gegen Ende der Sitzung stellten. Warum sollte Ihr Mann seiner Strafe für die Vergewaltigung an Ihnen entgehen? Und ich möchte Ihnen ein Stück Weisheit weitergeben, das ich als Kind im Konzentrationslager Auschwitz empfangen habe, als ich einen Rabbi fragte, ob den Deutschen je verziehen würde, was sie den Juden antaten.
Sie werden sich selbst nie verzeihen,
sagte er später. Das ist ihre Zukunft und ihre Strafe.
    Aber hätten Sie nicht fragen sollen, ob es rechtens sei, dass Sam der Bestrafung durch
Sie
entgeht? Und sind Sie selbst so frei von Schuld, Mrs. Ranelagh, dass Sie mit gutem Gewissen Ihren Mann verurteilen können?
    Mit den besten Wünschen
    Joseph Elias

    * * *

    Antwortbrief von Betty Hepinstall bezüglich Tierquälerei in Großbritannien – aus dem Jahr 1988
    Katzenklinik

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