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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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‘institutionalisiert’ bezeichnet, so heißt das, dass ihm eine fest verwurzelte Tradition zu Grunde liegt, und das legt nahe, dass der Fall des Stephen Lawrence nicht der einzige ist, bei dem die Polizei einfach weggesehen hat. Es ist hinlänglich bekannt, dass die meisten Polizeibeamten Weiße sind und dass schwarzen Verbrechensopfern keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. In den 31 Jahren, seit der Abgeordnete Enoch Powell in seiner berühmten ‘River of Blood’-Rede den Krieg zwischen den Rassen prophezeite, haben Polizei und Regierung kaum etwas unternommen, um dem Problem rassistisch motivierter Überfälle auf Schwarze und Asiaten beizukommen. Im Gegenteil, Angehörige dieser Gruppen weisen auf die große Zahl Schwarzer hin, die entweder in polizeilichem Gewahrsam oder bei ihrer Festnahme, der sie sich vorgeblich widersetzt hatten, ums Leben gekommen sind. Sie bringen vor, dass Minderheiten gerade von den Leuten, deren Pflicht es wäre, sie zu beschützen, häufig am übelsten behandelt werden.«
    Meine Mutter witterte augenblicklich eine Verschwörung und setzte meinem Vater auf der ganzen Fahrt von Devon zu uns mit Vorwürfen und Verdächtigungen zu. Als die beiden schließlich bei uns eintrafen, hatte sie sich in die schönste Wut hineingesteigert, zusätzlich angeheizt vom hartnäckigen Schweigen meines Vaters. Er hoffte wahrscheinlich, dass in unserer Gesellschaft die guten Manieren siegen würden, aber er hatte vergessen, mit welchem Genuss meine Mutter auf Konfrontationskurs zu gehen pflegte, insbesondere ihrer Tochter gegenüber. Sie vermutete – mit einiger Berechtigung –, Sam tappe genauso im Dunklen wie sie und ließ, wie vorauszusehen, die geballte Ladung ihrer moralischen Entrüstung auf mich los.
    Sie stellte mich gleich in der Küche. »Was ich nicht ertragen kann, ist diese Hinterlistigkeit«, erklärte sie. »Dein Leben lang hast du immer anders geredet als gehandelt. Und das Schlimmste daran ist, dass du nicht davor zurückschreckst, andere in deine Lügengeschichten hineinzuziehen. Ich erinnere mich noch genau, wie du und deine schreckliche Freundin – Hazel Wright – Stein und Bein geschworen habt, ihr hättet bei ihr zu Hause übernachtet, nachdem ihr in Wirklichkeit stockbetrunken bei irgendeinem Jungen im Zimmer herumgelegen habt.« Sie ballte beide Fäuste. »Du hattest es uns
versprochen
«, rief sie erbost. »Ein neuer Anfang, hast du gesagt. Keine Beschuldigungen mehr. Nie wieder wolltest du die Familie mit deinen absurden Hirngespinsten verrückt machen. Und was tust du? Brichst bei der ersten Gelegenheit dein Wort und verleitest deinen Vater auch noch dazu, dir zu helfen.«
    Ich stellte Gläser auf ein Tablett. »Hat Dad immer noch sein Faible für Pink Gin?«, fragte ich, während ich im Küchenschrank nach Angosturabitter suchte.
    »Hörst du mir eigentlich zu?«
    »Nein. Von der offenen Terrassentür aus, die direkt aus der Küche ins Freie führte, rief ich: »Sam! Frag Dad doch mal, ob er einen Pink Gin will.«
    »Ja, will er«, schrie Sam zurück. »Brauchst du Hilfe?«
    »Im Augenblick nicht, danke.« Ich nahm eine Zitrone aus der Obstschale und schnitt sie in der Mitte durch.
    »Ich werde mit Sam reden, wenn du mich einfach ignorierst«, drohte meine Mutter. »Deinem Vater hab ich schon gesagt, was ich von ihm halte. Was hat er sich bloß dabei gedacht, dich in diesem Unsinn auch noch zu unterstützen.«
    Ich betrachtete sie einen Moment und wünschte wieder einmal, ich hätte nicht so viel von ihr mitbekommen. Sie war eine gut aussehende Frau, auch wenn sie aus Angst vor Falten selten lächelte, aber ich machte seit zwanzig Jahren die wildesten Verrenkungen, um jede Ähnlichkeit mit ihr zu löschen. Ich hatte gehungert, um schlanker zu werden, ich hatte mir die Haare färben lassen, ich zwang mich zu einem stets heiteren Gesichtsausdruck – und dennoch war das alles nichts weiter als Augenwischerei. Jedes Mal, wenn ich sie sah, sah ich mich in dreißig Jahren, und dann wurde mein Lächeln ein wenig starrer, und mein Vorsatz, mich nicht zu vorschnellen abfälligen Urteilen hinreißen zu lassen, gewann an Festigkeit. Manchmal fragte ich mich, wer ich eigentlich war und ob ich über den kindlichen Wunsch hinaus, besser zu sein als sie, überhaupt einen Funken eigene Identität besaß. Ich erinnerte mich, dass mein Vater mir einmal versichert hatte – als wäre es nötig, das zu betonen –, meine Mutter liebe mich wirklich, und ich geantwortet habe: »Ja,

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