Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
Vom Netzwerk:
– ein besonders kalter Winter sogar. Und wir hatten im ganzen Haus Spannteppiche.«
    »Aber –« Sie brach ab, um zu überlegen. »Wieso habt ihr sie nicht gehört? Wenn Kater jaulen, machen sie einen Höllenlärm.«
    »Das kommt darauf an, was ihnen vorher angetan wurde.« Ich schüttelte den Kopf. »Meiner Ansicht nach sind sie sowieso sehr schnell an Unterkühlung eingegangen.«
    Wieder eine Pause. »Was kann man einer Katze denn antun, um sie am Schreien zu hindern?«
    Ich zog fröstelnd die Schultern hoch bei dem Gedanken an das grausige Ergebnis meiner Nachforschungen zu diesem Thema. »Ich kann nur Vermutungen anstellen... Man hatte ihnen Sekundenkleber in Mäuler und Augen gespritzt und ihre Schnauzen so fest mit Heftpflaster umwickelt, dass sie unfähig waren, etwas zu sehen, Nahrung zu sich zu nehmen oder zu schreien. In diesem Zustand hat man sie dann in den Belüftungsraum unter unserem Haus geschoben, wo sie verzweifelt versuchten, wieder herauszukommen – mit dem Einzigen, was man ihnen gelassen hatte, ihren Krallen.«
    Meine Mutter schnaubte empört, ich konnte allerdings nicht sagen, ob ihre Empörung sich gegen mich richtete, weil ich so etwas für möglich hielt, oder gegen die Menschen, die so etwas fertig brachten. »Wer würde so etwas tun?«
    Ich zog aus meiner Tasche eine Kopie des Polizeiberichts über die Besichtigung von Annies Haus am Tag nach ihrem Tod und reichte ihn meiner Mutter. »Dieselben Leute, die Annies Katzen malträtiert haben«, sagte ich. »Der einzige Unterschied ist, dass sie ihr die armen Tiere durch die Katzenklappe ins Haus befördert haben, sodass sie sehen konnte, was man mit ihnen gemacht hatte.«
    Sie warf einen Blick auf den Bericht, aber sie las ihn nicht. »Aber warum? Wozu?«
    »Den Grund kannst du dir aussuchen. Manchmal glaube ich, es wurde getan, um Annie in Angst und Schrecken zu versetzen, dann wieder glaube ich, es geschah aus reinem Vergnügen.« Ich wandte mein Gesicht in den Wind. »Wenn ich pervers wäre, würde ich mich geschmeichelt fühlen, da diese Leute offensichtlich glaubten, ich wäre klüger als Annie und käme von selbst darauf, dass unter meinem Haus Tiere unter entsetzlichen Qualen verendeten. Die Tatsache, dass das nicht der Fall war, muss eine Enttäuschung gewesen sein.«

    »Warum?«, hatte meine Mutter gefragt und fragte es auf der Heimfahrt hundertmal. Warum war Annie nicht zur Polizei gegangen? Warum hatte Annie nicht den Tierschutzverein angerufen? Warum waren diese Leute so sicher gewesen, sie könnten mich ungestraft auf die gleiche Weise quälen, wie sie Annie gequält hatten? Warum hatten sie nicht Angst gehabt, ich würde zur Polizei gehen? Warum
war
ich nicht zur Polizei gegangen? Warum sollte jemand so dumm sein, mich in meinem Verdacht hinsichtlich Annies Tod noch zu bestärken? Warum hätte man das Risiko eingehen sollen, Sam in die Sache hineinzuziehen? Warum hatte man bei der gerichtlichen Untersuchung von Annies Tod nicht den Befund des Tierschutzvereins in Frage gestellt? Warum... warum... warum...?
    Begann sie endlich zu begreifen, wie verraten ich mich gefühlt hatte, als sie mir damals nicht glaubte? Oder kam ich aus reinem Zynismus zu der Überzeugung, dass sie lediglich deshalb auf die Sache einging, weil sie die unerschütterliche Treue meines Vaters zu mir beschämte?
    Wie dem auch sei, ich hatte im Grunde nur eine Antwort für sie, dass nämlich kein Mensch einer Verrückten glaubt. Aber warum überhaupt annehmen, hier sei logische Überlegung am Werk gewesen, fragte ich. Es sei doch klar, dass die Leute, die die Katzen gefoltert haben, nur psychisch gestört sein konnten. Sie hatten es getan, weil es sie befriedigte, anderen Schmerz zu bereiten, nicht weil es möglich war vorherzusagen, wie die »verrückte Annie« oder ich reagieren würden, wenn wir die gemarterten Katzen im Haus vorfänden.

    * * *

    Schreiben von M. Ranelaghs Mutter aus dem Jahr 1999
    CURRAN HOUSE
    Whitehay Road
    Torquay, Devon
    Montag
    Darling,

nur ein paar Zeilen, um dir und Sam für das Wochenende zu danken. Es war schön, die Jungs wiederzusehen, ich finde nur, du solltest dafür sorgen, dass sie sich bei Gelegenheit mal die Haare schneiden lassen. Das Haus hat uns gefallen, deinem Vater und mir – obwohl es so heruntergekommen ist –, und ich denke, es wäre nicht verkehrt, ein Angebot dafür zu machen. Sam kommt sich ja offenbar im Augenblick ein bisschen verloren vor (das Landleben ist wohl doch nicht so ganz seine Sache), und

Weitere Kostenlose Bücher