Schlangenlinien
Ärger mit der Polizei hatte, ich nehme also an, er wurde auf die Straße geschickt.«
»Das ist ja furchtbar«, sagte Sam angewidert, während er den Wagen auf eine holprige Schotterstraße lenkte, die zum Skulpturenpark hinunterführte. »Kein Wunder, dass er auf die schiefe Bahn geraten ist.« Er hielt den Wagen an und schaltete den Motor aus. »Und wie haben sie ihn nach dem Überfall auf das Postamt geschnappt?«
»Er hat die Sache drei Monate später seiner Frau gestanden, und die hat ihn prompt angezeigt. Sie übergab der Polizei eine schwarze Lederjacke, die Michael ihrer Aussage zufolge am Tag des Überfalls getragen hatte. Man fand an den Ärmeln noch Blutspuren und konnte nachweisen, dass sie von dem Kunden im Postamt stammten.« Ich dachte zurück. »Michael bekannte sich schuldig, aber das hat ihm nicht viel genützt. Der Richter sprach Bridget sein Lob dafür aus, dass sie der Polizei so mutig geholfen hat, und brummte ihrem Mann dann elf Jahre auf.«
»Und das ist die Bridget, die damals in der Graham Road wohnte?«
»Ja. In Nummer siebenundzwanzig – gegenüber von Annie. Ihr Vater, Geoffrey Spalding, zog zu Michaels Mutter ins Haus, als Bridget dreizehn war, und überließ die beiden Mädchen einfach ihrem Schicksal. Ich weiß nicht, was aus Rosie, der Älteren, geworden ist, aber Bridget hat 1992 Michael geheiratet, nachdem der eine lange Strafe wegen schweren Einbruchs und Einbruchs in zehn Fällen abgesessen hatte. Er blieb ungefähr ein halbes Jahr lang sauber, dann startete er den Überfall auf das Postamt. Insgesamt haben er und Bridget nicht einmal ein Jahr als Ehepaar zusammengelebt.«
»Und jetzt sind sie geschieden?«
»Nein. Als Letztes hörte ich, dass sie in Bournemouth arbeitet und jeden Monat nach Portland fährt, um Michael zu besuchen. Das ist der Grund, weshalb er hierher verlegt wurde – weil niemand außer seiner Frau ihn besucht. Sie sagte bei der Verhandlung, sie liebe ihn immer noch, sie könne sich auf keinen Menschen in solchem Maß verlassen wie auf Michael, weil sie sich schon seit der Kindheit kennen, und sie habe ihn nur angezeigt, weil sie Angst gehabt hätte, er würde sonst noch jemanden umbringen. Ich fand das sehr tapfer von ihr«, sagte ich. »Seine Mutter ist feige dagegen – Sharon Percy, meine ich –, sie will nichts von ihm wissen, seit Jahren schon nicht mehr, weil er sie ja so in Schande gestürzt hat. Seit sie mit Bridgets Vater zusammenlebt, ist sie nämlich eine anständige Frau geworden und hat ihr Gewerbe aufgegeben.«
»Das scheint ja ein schönes Miststück zu sein«, sagte Sam grimmig.
»Eine tolle Mutter ist sie jedenfalls nicht.«
Sam legte seine Arme aufs Lenkrad und starrte nachdenklich zum Fenster hinaus. »Waren die Kinder alle so schlimm?«, fragte er. »Die Charles-Kinder von nebenan zum Beispiel?«
»Die waren ja noch klein, das älteste war fünf«, antwortete ich, »und Julia hat sie nie aus den Augen gelassen. Nein, eigentlich sind nur Michael und die Slaters so missraten – in beiden Fällen, weil ihre Mütter sich nicht um sie kümmerten. Sharon war ihr Sohn egal... und Maureen wurde von ihrem Mann so brutal behandelt, dass sie die meiste Zeit in ihrem Zimmer hockte und sich volllaufen ließ.«
»Hast du das alles damals schon gewusst, als wir noch dort wohnten?«
»Nein. Das meiste habe ich von Libby erfahren, nachdem wir weggegangen waren. Ich wusste, dass Alan Slater sich prügelte, weil er ständig grün und blau geschlagen in die Schule kam, aber ich hatte keine Ahnung, dass er die Prügel von seinem Vater bezog. Ich erinnere mich, dass ich einmal unseren Direktor darauf angesprochen habe, aber der meinte nur, es täte Alan gut, wenn seine Kameraden ihn ab und zu verprügelten, weil er selbst so ein Schläger sei. Und Michael –« ich lachte kurz »– den fand ich immer ausgesprochen reif für sein Alter. Er hat mir damals ein paar Liebesgedichte geschrieben und aufs Pult gelegt. Unterschrieben waren sie mit: der Gefangene von Zenda.«
»Woher wusstest du, dass sie von ihm waren?«
»Ich erkannte seine Handschrift. Er war ein unheimlich intelligenter Junge. Wäre er in einer anderen Familie aufgewachsen, dann hätte er jetzt wahrscheinlich einen Magister von der Uni Oxford und nicht eine ellenlange Vorstrafenliste. Aber er war ein hartnäckiger Schulschwänzer und kam immer nur alle drei Tage zum Unterricht.« Ich seufzte. »Wenn ich ein bisschen mehr Erfahrung gehabt hätte – oder dem verdammten Direktor
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