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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Hämmern auf Meißel, untermalt vom Pfeifen des Windes in der Plastikplane, die wie ein Zeltdach über den Köpfen der Bildhauer gespannt war. Es war ein Bild intensiven Arbeitseifers, denn alle hier hatten ein Ziel, sie wollten lernen, in der Dreidimensionalität zu arbeiten. Weiße Steinsplitter bedeckten den Boden, und feiner Staub saß wie Mehl auf Armen, Haar und Kleidung. Man hätte sich in einer italienischen Renaissance-Werkstatt glauben können, wären nicht die Plastikplane gewesen, die T-Shirts und Jeans und die Tatsache, dass die Hälfte der Bildhauer Frauen waren.
    Danny hob sich aus der Gruppe heraus, nicht nur, weil er seinen Arbeitsplatz gleich am Eingang zu der geschützten Mulde hatte, wo die Bildhauer ihre Werkstatt errichtet hatten, sondern vor allem weil sein Steinblock dreimal so groß war wie der jedes anderen. Und seine Arbeit war bereits viel weiter gediehen. Während die meisten anderen noch dabei waren, sich an eine Grundform heranzutasten, hatte Danny schon einen Kopf und einen Oberkörper aus dem Kalkstein herausgeholt und bearbeitete nun das Gesicht mit einem Zahneisen, um der Haut Struktur zu geben.
    Er blickte auf, als wir uns näherten. »Also, was meinen Sie?« Er trat zurück und schien keineswegs überrascht, dass wir gekommen waren, seine Arbeit zu bewundern. Da er keine Jacke trug, fiel zum ersten Mal auf, wie muskulös seine Schultern und Arme waren.
    »Hervorragend«, erklärte Sam mit übertriebener Jovialität, die er gern Leuten angedeihen ließ, mit denen er nicht näher bekannt war. »Wer ist es denn? Jemand, den wir kennen?«
    Danny kniff unwillig die Augen zusammen.
    »Mahatma Gandhi«, sagte ich mit einem raschen Blick der Vergewisserung auf die Zeichnungen und Fotografien, die neben Danny auf dem Boden lagen. Es wäre nicht nötig gewesen. Die Ähnlichkeit war da, wenn auch mehr intuitiv erfasst als an der Realität orientiert. »Das ist ein ehrgeiziges Projekt.«
    Auch das passte ihm nicht. »Man merkt, dass Sie Lehrerin sind«, sagte er sauer und sah sich nach dem Plastikzelt um, wo Lehrer den anderen Kursteilnehmern Tipps und Ratschläge gaben. »Das sagen die auch alle.«
    Ich betrachtete ihn neugierig. »Warum nehmen Sie es nicht als Kompliment?«
    Er zuckte die Achseln. »Weil ich höre, wie's gemeint ist.«
    »Sie sind zu empfindlich«, sagte ich. »Ich hatte es als Ansporn gemeint. Sie sind ja offensichtlich der Star hier – den anderen weit voraus –, und wenn Sie nicht blind und vernagelt sind, muss Ihnen das doch klar sein.«
    »Ist es mir.«
    »Dann hören Sie auf, sich zu beschweren, und beweisen Sie, dass Sie einem ehrgeizigen Projekt gewachsen sind.« Ich zog einen Finger über die überdimensionale Brille, die schräg über den gefurchten steinernen Wangen saß. »Wie haben Sie die gemacht?«
    »Ganz behutsam«, antwortete er ohne Ironie.
    Ich lächelte. »Hatten Sie nicht Angst, Sie könnten sie versehentlich abschlagen?«
    »Hab ich immer noch.«
    »In Ladysmith in Südafrika gibt es eine Bronzestatue von Gandhi. Sie soll daran erinnern, dass er im Burenkrieg dort das Sanitätscorps aufgebaut hat. Es ist das einzige Standbild von ihm, das ich kenne.«
    »Und wie fällt der Vergleich aus?«
    »Mit diesem hier?«
    Er nickte. Ich hätte seine Frage vielleicht für arrogant gehalten, wenn seine Körperhaltung weniger angespannt, sein Gesichtsausdruck weniger trotzig gewesen wäre. Er ist schon wieder in Abwehrstellung, dachte ich.
    »Es ist eine sehr professionelle, lebensgroße, in Bronze gegossene Darstellung eines kleinen Männchens, der seine Pflicht für das Empire getan hat, nachdem er die britische Staatsbürgerschaft angenommen hatte«, sagte ich. »Aber das ist auch alles. Es hat mir kein Gefühl für seine Größe vermittelt, keine Ahnung der gewaltigen Wirkung, die seine Demut auf das Weltgeschehen hatte, kein Empfinden innerer Kraft.« Ich berührte leicht das aus Kalkstein gehauene Gesicht. »Gandhi war ein Riese ohne Arroganz und Anspruch. Ich persönlich sehe ihn lieber überlebensgroß und in Stein gehauen als realistisch klein in blank polierter Bronze.«
    Sein Gesicht entspannte sich. »Wollen Sie ihn kaufen?«
    Ich schüttelte bedauernd den Kopf.
    »Warum nicht? Sie haben doch gerade gesagt, dass er Ihnen gefällt.«
    »Wo soll ich so eine Skulptur aufstellen?«
    »In Ihrem Garten.«
    »Wir haben keinen Garten. Das Bauernhaus haben wir nur für den Sommer gemietet. Danach –« ich zuckte die Achseln »– wer weiß? Wenn wir Glück

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