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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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hat ihn ja noch weniger gemocht als Derek. Alan hat sie nie in Ruhe gelassen – immer hat er ihr aufgelauert ...« Ich brach ab, um nicht vor Zorn und Wut loszuschreien.
    »Nichts als Lügen! Sie biegen sich das alles so zurecht, dass es Ihnen in den Kram passt. In Wirklichkeit können Sie nicht mehr sagen, als dass Alan viel auf der Straße gespielt hat. Das heißt aber noch lange nicht, dass er Annie aufgelauert hat.«
    »Er war ein vernachlässigtes und misshandeltes Kind, Maureen, das viel zu viel Angst hatte, um sich gegen seinen Vater zu wehren. Annie sah er als leichte Beute. Er hatte gelernt, dass Brutalität bestens funktioniert, und diese Erkenntnis setzte er bei der schwächsten Person, die er finden konnte, in die Praxis um.« Ich lachte bitter. »Hätte ich nur eine Ahnung gehabt, wie Sie und Derek den Jungen behandelt haben... Hätte ich ihn nur damals angezeigt, als er sich an meiner Tasche vergriff... Ich wünschte von Herzen, man hätte Ihnen den Jungen rechtzeitig weggenommen, um ihm beizubringen, dass es im Leben noch andere Dinge gibt als Prügel und Gemeinheit.«
    »Sie hatten genauso viel Verantwortung wie wir«, sagte sie. »Sie waren seine Lehrerin. Warum haben Sie denn nichts gesagt, als er ihr ‘blödes Niggerweib’ hinterhergeschrien hat?«
    Das war eine gute Frage. Warum hatte ich nichts getan? War es vielleicht eine Entschuldigung, dass ich vor einem Vierzehnjährigen Angst gehabt hatte? Aber ich hatte tatsächlich Angst gehabt. Alan war ein Riesenkerl gewesen für sein Alter, groß und massig; ein Junge von unterdurchschnittlicher Intelligenz, der sich nur auf das Mittel der Aggression verstand, was ihn mutig und zugleich feige machte. Wäre nicht Michael Percy gewesen, der stets die Strafe abbekam, so wären, denke ich, Alans geistige Defizite deutlicher erkennbar geworden, und er hätte bei anderen vielleicht Teilnahme statt Abneigung und Abscheu herausgefordert. So aber gingen ihm die meisten Leute aus dem Weg und taten so, als sähen sie nicht, wie er und seine Bande die »verrückte Annie« terrorisierten. Es schien ja auch ein ausgeglichener Kampf zu sein. Sie war größer als die Jungen, verrückter als sie, älter, kräftiger und deutlich aggressiver – besonders wenn sie getrunken hatte –, und sie hatte keinerlei Bedenken zuzuschlagen, wenn die Hänseleien der Jungen unerträglich wurden.
    »Seit zwanzig Jahren bereue ich mein Schweigen«, sagte ich zu Maureen. »Wenn ich ein wenig mutiger gewesen wäre – oder ein wenig mehr Erfahrung gehabt hätte...« Ich lachte gequält. »Vielleicht würde ich mich dann jetzt nicht so schuldig fühlen.«
    Sie zuckte die Achseln. »Ich würd mir da an Ihrer Stelle keine Gedanken machen. Alan hätte sowieso nicht auf Sie gehört, auch wenn Sie ihm die Meinung gegeigt hätten. Der einzige Mensch, auf den er gehört hat, war sein Vater.«
    »Ja, bis er mit dem Baseballschläger auf ihn losgegangen ist.«
    »Das musste eines Tages passieren«, stellte sie gleichgültig fest. »Kinder werden groß. Außerdem war Derek selbst schuld. Er hat nicht gemerkt, dass Alan sich keine Prügel mehr gefallen lassen würde.«
    Ich starrte auf die Reihen leerer Flaschen auf ihrem Fensterbrett. »Fühlen Sie sich jemals schuldig, Maureen?«
    »Warum sollte ich?«
    Ich gab ihr eine Kopie des Briefs, in dem Michael Percy mir beschrieben hatte, wie ihre Kinder bei Annie gestohlen hatten. Sie war mehr belustigt als betroffen. Das zu beweisen, würde ich mich schwer tun, sagte sie. »Kein Mensch wird Michael glauben«, erklärte sie, »und er würde sowieso nicht mit den Bullen reden, jedenfalls nicht, solange er im Knast ist. Wenn man da als Verräter abgestempelt wird, wird man seines Lebens nicht mehr froh.«
    »Aber Alan würde man vielleicht glauben«, meinte ich.
    »Der wird alles abstreiten. Er hat jetzt Familie – der will sich doch heute nicht mit Sachen rumschlagen müssen, die er als Kind mal angestellt hat. Und Danny erinnert sich nicht mal an seinen Vater, schon gar nicht daran, wer vor zwanzig Jahren im Nachbarhaus gewohnt hat. Er hat mich am Telefon gefragt, wer diese Annie gewesen ist und warum ich nie von ihr gesprochen hab.«
    »Und was haben Sie gesagt?«
    »Dass sie ein fettes Weib war, das uns das Leben zur Hölle gemacht hat, und er nicht alles glauben soll, was Sie erzählen, weil bei Ihnen ungefähr genauso viele Schrauben locker sind wie damals bei ihr.«
    Ich sah sie lächelnd an, als ich einen großen braunen Umschlag aus den

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