Schlangenlinien
beleihen soll. Wie kann ein Mensch so hirnverbrannt blöd sein? Wenn er sich übernimmt, ist am Ende das Haus hin, und er steht auf der Straße, ha, ha!
Mein Gott, bin ich gemein! Warum spionier ich ihm eigentlich immer noch nach? Vielleicht bin ich ein
voyeur manqué
? Wenn ja, dann geb ich dir die Schuld daran. Du hättest mir nicht zureden sollen, ihn ständig zu kontrollieren. Es macht richtig süchtig, mit seiner jeweiligen »Mieze« zu plauschen. Wahrscheinlich weil es so was Tröstliches hat, zu hören, dass ich nicht die Einzige bin, die es nicht geschafft hat, eine Beziehung zu ihm aufzubauen.
Alles Liebe,
Libby
P.S. Jim beschwert sich darüber, dass ich mich ständig auf irgendwelchen Lehrerkonferenzen herumtreibe. Hab ich dir erzählt, dass ich jetzt Gewerkschaftsvertreterin bin? Als Nächstes wirst du mich im Parlament sehen! Und das mit einem Mann, der von mir erwartet, dass ich an den Wochenenden seine Geschäftsfreunde mit Fünf-Gänge-Menüs aus der Gourmetküche bewirte. Diese Männer! Auf den Mond sollte man sie schießen!
16
Jock ließ mich mehrere Minuten lang draußen auf der Treppe warten, bevor er sich bequemte, die Tür zu öffnen, und ich nutzte die Zeit, um ein paarmal tief durchzuatmen nach dem Marsch von der Graham Road in die deutlich noblere Straße zwischen der Queen's Road und Richmond Hill, in der er jetzt lebte. Das Wohngebiet war zu einer Zeit entstanden, als die besser gestellten Bürger nach Einführung regelmäßiger Eisenbahnverbindungen entdeckten, wie angenehm es war, fern des Arbeitsplatzes in der lärmenden Innenstadt irgendwo im Grünen zu wohnen. Die Häuser, Reihenhäuser zwar auch hier, waren um einiges komfortabler als die in Mortlake und hatten sogar ein zusätzliches Stockwerk zur Unterbringung von Hausangestellten. Vor hundert Jahren hatte wahrscheinlich jedes der Häuser einen ummauerten Vorgarten mit Bäumen und Sträuchern gehabt, der es von der Straße abgeschirmt hatte; jetzt, da es kaum noch Familien gab, die nicht mindestens ein Auto fuhren, hatte man die Mauern abgerissen und die Gärten betoniert oder gepflastert, um zusätzlichen Parkraum abseits der Straße zu schaffen.
Vor Jocks Haus stand ein ehrwürdiger alter schwarzer Mercedes mit abgewetzten Ledersitzen, und während ich noch durch die Windschutzscheibe in sein Inneres spähte und mich fragte, ob der Wagen Jock gehörte, hörte ich, wie die Haustür geöffnet wurde. Gleich darauf stand Jock an meiner Seite. »Du bist eine halbe Stunde zu früh dran«, sagte er gereizt. »Ich dachte, wir hätten zwei Uhr ausgemacht.«
Ich hatte erwartet, Alter, Trennung und enttäuschte Träume hätten ihn ein wenig geläutert, aber an seiner alten Überzeugung, dass Angriff die beste Verteidigung sei, hatte sich offensichtlich nichts geändert. Ich war überrascht über die Freude des Wiedersehens, die ich empfand, als wären wir alte Freunde, und bot ihm meine Wange zum Kuss.
»Hallo Jock«, sagte ich. »Wie geht es dir?«
Er küsste mich flüchtig. »Wo ist Sam?«
»Hat er dich nicht angerufen?«
»Nein.«
»Ihm ist in letzter Minute etwas dazwischengekommen, und er musste passen«, log ich mit gespieltem Bedauern. »Darum bin ich allein hier.« Jock antwortete nicht gleich, und ich tat so, als bemerkte ich sein verstohlenes Aufatmen nicht. »Ich wusste gar nicht, dass du für Oldtimer schwärmst«, bemerkte ich lachend und klopfte auf die Kühlerhaube des Mercedes. »Früher musste es doch immer das neueste Modell sein. Ich weiß noch, wie du Sam und mich niedergemacht hast, als wir diesen gebrauchten Allegro Kombi kauften.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Den Mercedes nehm ich eigentlich nur für die Stadt. Der Jaguar steht in einer Einzelgarage, die ich hier in der Straße gemietet habe.«
»Ein Jaguar!«, rief ich. »Mann o Mann! Sam wird platzen vor Neid. Er wollte immer schon einen XK 8.« Ich blickte an ihm vorbei ins dämmrige Entree des Hauses, wo ein Münztelefon an der Wand hing. »Lass dich von mir nur nicht stören«, sagte ich. »Ich hab's nicht eilig.«
Er zog die Tür weiter zu. »Ich muss noch ein paar E-Mails beantworten.«
»Ich kann warten.« Ich lehnte mich an die Kühlerhaube des Mercedes und hob den Kopf, um das Haus zu betrachten. Es war ein schöner Bau mit mehreren Erkern und den hohen, breiten Fenstern, für die die Architekten der viktorianischen Zeit eine solche Vorliebe gehabt hatten. Libby zufolge hatte er 1979 siebzigtausend Pfund für das Haus bezahlt,
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