Schlangenlinien
Jock sein Haus mit Fremden teilen musste. »Sprechen wir von schwarzen Ausländern, Jock?«
»Es sind Araber«, erklärte er unwirsch. »Das sind heutzutage die Einzigen, die Geld haben.«
»Und warum schläfst du hier?«, fragte ich mit einem Blick auf das Bett in der Ecke. »Um dein Hab und Gut vor den finsteren Räubern zu bewahren?«
»Ha ha ha! Sehr witzig.« Er setzte sich in den Drehstuhl vor seinem Schreibtisch und überließ mir den Sessel. »Hier schlafe ich nur, wenn die anderen Zimmer alle belegt sind. Es ist ein bisschen provisorisch, aber ich kann das Geld gebrauchen.«
Er hatte sich einen Bart wachsen lassen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, und sein dunkles Haar begann zu ergrauen, aber beides sah gut aus an ihm. Das Leben mit all seinen Schwierigkeiten schien ihm bestens zu bekommen, seinem Gesicht fehlten die tausend Sorgenfalten, die Sams Züge kennzeichneten.
»Du siehst gut aus«, sagte ich, nachdem ich es mir in dem Sessel bequem gemacht hatte. »Sam hat fast keine Haare mehr und reagiert total empfindlich, wenn einer was über seine Glatze sagt.«
»Der arme Kerl«, sagte Jock mit einer Anteilnahme, die mich überraschte. »Er hatte ja immer Angst davor... Er hat jeden Tag die Haare im Kamm gezählt.«
»Das tut er jetzt auch noch.« Mein Blick fiel auf eine Schildpattkatze, die zusammengerollt auf einer gepolsterten Fußbank in der Ecke des Zimmers lag. »Ich wusste gar nicht, dass du Katzen magst.«
Sein Blick folgte dem meinen. »Tja, ich hab mich an ihn gewöhnt. Eine meiner Verflossenen hat ihn mir hinterlassen, als sie auf und davon ging, weil ich mich weigerte, ihre Kreditkartenrechnung zu bezahlen. Er interessiert sich mehr für mich als für meine Brieftasche, da kommen wir ganz gut miteinander aus.«
»Hast du zurzeit eine Freundin?«
»Was, hat Libby dir das denn nicht erzählt?«, fragte er sarkastisch. »Ich dachte, sie weiß alles.«
»Sie hat die Anrufe aufgegeben, als plötzlich immer Ausländer ans Telefon kamen.«
»Wieso hatte sie keine Angst, dass ich mich melden könnte?«
»Oh, sie hat dich mehrmals an der Strippe gehabt«, sagte ich. »Sie hat sich immer als arme alte Frau ausgegeben, die versucht, ihren Arzt zu erreichen. Du warst jedes Mal ausgesprochen geduldig mit ihr – hast ihr geraten, die Nummer in ihrem Büchlein zu ändern, damit sie das nächste Mal nicht wieder an der falschen Adresse landen würde.«
»Ich werd verrückt! Das war Libby? Das hätt ich ihr nicht zugetraut.« Er sah beeindruckt aus.
»Ja, sie kann sich gut verstellen.« Ich schwieg einen Moment. »Fehlt sie dir?«
Eine solche Frage hatte er nicht erwartet. Sinnend strich er sich den Bart, während er seine Antwort bedachte. »Manchmal«, bekannte er. »Wo ist sie jetzt eigentlich? Ich weiß, dass sie wieder geheiratet hat. Eine Freundin von ihr hat es mir erzählt, aber ich habe keine Ahnung, wo sie jetzt lebt.«
»In Melton Mowbray in Leicestershire. Sie ist nach eurer Trennung nach Southampton gezogen und hat ihr Studium fertig gemacht, und jetzt ist sie Leiterin für Geschichte an einer Gesamtschule in Leicester. Ihr Mann heißt Jim Garth. Er ist Banker. Sie haben drei Töchter. Die älteste ist dreizehn, die jüngste sieben.«
Er lächelte wehmütig. »Sie hat immer gesagt, ohne mich wäre sie besser dran.«
»Sie wollte auf eigenen Beinen stehen, Jock.« Die Hände zwischen die Knie geklemmt, beugte ich mich vor. »Wenn du sie dazu ermutigt hättest, ihr Studium fertig zu machen, als ihr noch verheiratet wart... wer weiß? Vielleicht wärt ihr dann noch zusammen.«
Er glaubte das so wenig wie ich. »Wohl kaum. Am Ende haben wir ja nicht einmal mehr miteinander gesprochen.« Mit zusammengekniffenen Augen sah er mich an, und ich vermutete, dass sich bei ihm so viel Misstrauen gegen mich aufgestaut hatte wie bei mir gegen ihn. »Ehrlich gesagt, hab ich immer dir die Schuld an unserer Trennung gegeben. Libby hatte keinerlei Probleme bis zu dem Tag, an dem du aufgekreuzt bist. Das Einzige, was sie wollte, waren Kinder... Dann erscheinst
du
auf der Bildfläche, und plötzlich sind Kinder nicht mehr genug. Nein, sie
muss
sich selbst verwirklichen, sie braucht ihren eigenen Beruf, und sie muss unbedingt Lehrerin werden.«
»Ich wusste nicht, dass sie so leicht zu beeinflussen war.«
»Na hör mal! Sie hat doch immer nur die Ideen anderer Leute wiedergekäut. Deswegen ist sie wahrscheinlich auch Geschichtslehrerin geworden«, fügte er sarkastisch hinzu. »Man
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