Schlecht aufgelegt (German Edition)
Uhlenbrock?» Kuli betonte jede Silbe.
«Ja. Was dagegen?»
«Nee, natürlich nicht», beschwichtigte Kuli.
«Dann ist ja gut», sagte Paul.
Kuli schluckte. «Und die ist echt gehbehindert?»
«Nee, natürlich nicht.»
«Dann ist ja gut», nickte Kuli erleichtert. Er zog sein Headset aus der Buchse und ließ es achtlos neben der Telefonanlage liegen.
«Ich geh mal telefonieren», sagte er, stand auf, nahm seine Jacke von der Lehne und ging an seinen jetzt schon wieder ehemaligen neuen Kollegen vorbei zum Ausgang. Herr Kletzke hob nicht einmal den Blick, sondern schien in eine Akte vertieft zu sein, aus der am oberen Rand allerdings die Ecke eines bunten Magazins herauslugte. Kuli war nicht der Typ für Existenzängste, aber als er jetzt so durch den plötzlich fremd wirkenden Gang schlich, vorbei an all den dauertelefonierenden Akkordarbeitern, da fühlte er sich doch ein wenig leer, geradezu einsam. Sein einziger Anknüpfungspunkt in Berlin löste sich gerade vor seinen Augen in ein anonymes Großraumbüro voller unbekannter Menschen auf, in dem es egal zu sein schien, ob einer mehr oder weniger da saß oder fehlte oder krank war oder tot.
Er betrat den Pausenraum, der glücklicherweise leer war, stellte einen Becher in die dafür vorgesehene Vertiefung des Kaffeeautomaten und drückte auf Anhieb die richtige Taste. Milch schoss ein. Er zückte sein Handy und wählte eine Nummer, die er noch nie angewählt hatte, weil die Dinge sich nicht so entwickelt hatten, wie er sich das gewünscht hatte. Das Freizeichen erklang, Kulis Herz schlug höher.
«Rudolph», sagte eine Stimme, die ihm schmerzhaft vertraut erschien, obwohl er ihre Besitzerin nur zweimal getroffen hatte.
«Bettina», sagte er. «Ich bin’s.»
«Kurt», sagte sie.
«Kuli», sagte er. «Nicht auflegen.»
Ihm fiel auf, wie sehr es in der Leitung rauschte, wenn niemand sprach.
«Was willst du?», fragte sie endlich.
«Mich entschuldigen», begann Kuli. «Hier läuft irgendwie gerade alles schief, und es tut mir wahnsinnig leid, dass das mit uns auch so schiefgelaufen ist, und ich würde dich wirklich sehr gerne wiedertreffen, aber ich verstehe natürlich auch, wenn du das nicht willst, weil du zu enttäuscht bist, obwohl ich dir das wirklich alles erklären kann und ich dich auf gar keinen Fall verletzen wollte und es mir auch leidtut, dass die dich geschlagen haben, wer immer die eigentlich sind, und ich weiß überhaupt nicht, wie ich das gutmachen kann, aber ich würde es wenigstens gerne mal versuchen, aber dazu muss man sich ja erst mal wieder sehen, sonst geht das ja gar nicht, und bist du überhaupt noch da?»
Kuli lauschte in die rauschende Leitung.
«Ja», sagte Bettina schließlich. Sie schien einen leichten Kloß im Hals zu haben, soweit Kuli das bei der Kürze der Antwort beurteilen konnte.
«Ich hab ganz viel Zeit. Kann mich nach dir richten. Bin nämlich seit gerade arbeitslos.»
«Echt?», fragte sie.
«Ja.»
«Ich überleg’s mir, okay?», sagte sie. «Bis dann.»
Und damit legte sie auf. Hätte auf jeden Fall schlimmer kommen können, dachte Kuli. So konnte man hier abtreten, das war in Ordnung. Er besann sich seiner größten Stärke, drängte die negativen Schwingungen in ein Funkloch hinter seinem Herzen und verließ den Pausenraum mit einem Liedchen auf den Lippen. Too High von Innervisions . Den Kaffee hatte er nicht angerührt. Er ließ ihn im Automaten stehen für denjenigen, der ihm nachfolgen sollte.
P aul fand es wirklich sehr, sehr seltsam, dass der Platz neben ihm plötzlich leer war und dass Kuli auch gar keine Anstalten machte zurückzukommen, um wenigstens seine Schicht zu Ende zu bringen. Er wollte gerade aufstehen und nachsehen, ob sich Kuli vielleicht noch irgendwo im Pausenbereich befand, da stand plötzlich Martin Schulte vor ihm und sah irgendwie merkwürdig aus. Seine Augen waren rot umrandet, der Rest des Gesichts leichenblass, er schien schlecht oder gar nicht geschlafen zu haben; alle Großspurigkeit, die ihm in den letzten Jahren angehaftet hatte und erst vor kurzem dank Paul auf ein erträgliches Maß zusammengeschrumpft war, schien sich endgültig einen neuen Besitzer gesucht zu haben.
«Ich hab’s ihr gesagt», flüsterte er.
«Wem?», fragte Paul.
«Meiner Frau.» Martin Schulte schaute Paul nicht in die Augen.
«Ach, ihr seid verheiratet?», wunderte sich Paul und hatte das tatsächlich nicht gewusst.
«Seit zwei Monaten», gestand Martin Schulte leise. «Wir haben auf den
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