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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Stricker
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hofft man … aber eigentlich ist der immer woanders. Immer auf der Durchreise. Muss man sich mit abfinden. Man träumt natürlich trotzdem …»
    Sie unterbrach sich, ging zur Kasse, wischte sich eine eilig herabfließende Träne von der Wange, drückte ein paar Tasten und zog einen Bon heraus für den Koloss, der inzwischen ein angenagtes Cord-Jackett mit Ärmelschonern angezogen hatte.
    «Ist besser aufzuwachen», sagte sie, als sie an ihm vorbeikam, und wischte sich eine Strähne ihrer blockartig gefärbten lila Haare aus dem Gesicht. Drum herum waren die Haare schwarz, aber auch das war nicht echt und sah auch nicht so aus.
    «Man sollte immer da bleiben, wo man hingehört», schloss sie nüchtern. «Alles andere geht nicht gut aus.»
    Und damit ging sie kassieren. Kuli trank sein Spezi aus und beschloss, es dem Koloss mit den Suppenflecken gleichzutun und so schnell wie möglich zu verschwinden. Er fand Katharina Simunek sympathisch, wusste nun, dass sie montags hier bediente und nicht an irgendwelchen Tatorten lauerte und dass sie offenbar genauso unglücklich war wie die meisten anderen Menschen, die er bislang in Berlin kennengelernt hatte. Seine Aufgabe war es, konsequent darin zu bleiben, sich von der Tristesse seiner Umgebung nicht anstecken zu lassen. Nicht einmal Paul hatte es geschafft, ihn dauerhaft herunterzuziehen – und so sollte das auch bleiben. Er liebte das Leben. Er liebte die Musik. Er liebte Bettina. Vielleicht.
    «Muss los», sagte er.
    Katharina Simunek nickte und lächelte mit etwas Wehmut. «So schnell du nur kannst», sagte sie. «Und schau nicht mehr zurück.»
    Er lächelte ebenfalls, gab ihr ein großzügiges Trinkgeld und wusste, er würde die Bernstein-Stuben, diese Keimzelle einer depressiven Verstimmung, nie wieder betreten.
    «Hat mich gefreut», sagte er aufrichtig und ließ die Kneipentür hinter sich zufallen. Er machte Meter, eilte in den nächstbesten U-Bahn-Schacht und besah sich das Streckennetz an der Wand. Wie weit war es eigentlich bis Köpenick?

    E s dauerte tatsächlich fast eine Stunde, bis er endlich bei Bettina vor der Tür stand. Ein Mehrfamilienhaus war das, direkt an der Dahme, einem Fluss, der sich durch Köpenick zog und dem ganzen Bezirk etwas vergleichsweise Dörfliches gab. Nur ohne das Gemütliche daran. Es war nun schon kurz vor neun. Ihr Name stand an der Klingel, es wäre also kein Problem gewesen, einfach mal draufzudrücken. Er ging noch eine Runde spazieren, über die Müggelheimer Damm-Brücke direkt hinein in die Altstadt, in der auch nicht mehr los war als in Mülheim am Karfreitag oder irgendeinem anderen Tag im Jahr. Als ihm die Umwege ausgingen und er erneut vor ihrer Tür stand, war es Viertel vor zehn. Jetzt oder nie, dachte er und drückte auf den kleinen, schwarzen Knopf. Er zählte die Sekunden. Zwölf waren es. Ganz schön viele. Vielleicht schlief sie ja schon längst. Oder badete. Oder telefonierte. Er blickte auf sein Handy. Keine Anrufe in Abwesenheit.
    «Wer ist da?», erklang es durch die Gegensprechanlage.
    «Ich bin’s, Kuli. Oder Uli», sagte Kuli. Weitere Sekunden waren zu zählen. Drei, vier, fünf, sechs. Dann durchschnitt ein geradezu rabiates Surren die Stille, und Kuli konnte die Haustür aufdrücken. Er atmete tief durch und trat ins Dunkle.

    P aul hatte den Bahnhof Zoo nun fast erreicht. Ihm fiel auf, dass er es irgendwie versäumt hatte, für eine Unterkunft zu sorgen, dass er es irgendwie versäumt hatte, das Gespräch mit Sophie darauf zu lenken, dass er ein Bett für die Nacht brauchte, in dem bestenfalls Sophie, auf gar keinen Fall aber Kuli liegen würde und dann halt eben noch er. Sollte er sie erneut anrufen? Aber wie sah das denn aus? Gerade, als er sich dagegen entschieden hatte, klingelte sein Telefon. Ah, sie hatte es selbst gemerkt, dachte er. Als er aber auf das Display schaute, stutzte er. Eine spanische Nummer. Die spanische Nummer.
    «Ja?», fragte er ungläubig.
    «Hallo, Papa», sagte seine Tochter.
    «Luna, es ist fast halb elf», schimpfte Paul anstelle einer Begrüßung. «Warum schläfst du nicht?»
    «Es ist fast halb elf?»
    Eine weibliche Stimme aus dem Hintergrund sagte irgendetwas Unverständliches.
    «Papa, es ist fast halb elf, sagt Mama», stellte Luna fest.
    «Ja, das habe ich ja gerade gesagt. Warum schläfst du denn nicht?»
    «Ich kann nicht schlafen.»
    «Aber warum denn nicht?» Paul war jetzt ganz besorgter Vater.
    «Weil ich dich vermisse», sagte seine Tochter in sachlichem

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