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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Stricker
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sich übergeben, dachte Kuli und klampfte tapfer weiter Shakin’ Stevens vor sich hin. Vier Leute, drei Männer und eine Frau, waren inzwischen an ihm vorbeigeeilt und hatten Taschen in die Schließfächer gestellt bzw. daraus entnommen. Keiner von ihnen aber schien der Richtige gewesen zu sein. Keiner von ihnen hatte eine Münze in seine Tasche getan. Kuli schämte sich wirklich abgrundtief und bekam eine Idee davon, was Straßenmusik in der Regel wirklich bedeutete, vor allem für einen selbst: Betteln mit Instrument. Er griff in seine Jacke, suchte nach Kleingeld und warf etwas Münzgeld in die Sporttasche. Sonst sah das am Ende noch so aus, als hätte ihn niemand für gut genug befunden, wenigstens ein bisschen was zu spenden, und das ließ seine Musikerehre nicht zu. Er zupfte weiter und fixierte dabei standhaft seine Ukulele oder den Boden.
    Ein Paar Füße blieb vor ihm stehen. Er schaute nicht auf, natürlich nicht, im Gegenteil, er beugte sich noch weiter vor, seine Nase schien richtiggehend in das kleine Loch der Ukulele hineinzukriechen. Die Füße waren weiblich und in diese seltsamen, formlosen, grau-beigen Halbschuhe gekleidet, die alte Frauen oftmals als uniformes Erkennungszeichen zu tragen schienen. Seht her, ich bin alt und habe mit Farbe nichts mehr am Hut, schienen diese Schuhe sagen zu wollen. Diese trostlosen, lebensunlustigen, friedhofsnah gestylten Schuhe hatte er noch nie verstanden, schon bei seiner Mülheimer Oma nicht, und daran musste er denken, während er weiter You Drive Me Crazy gniedelte und den Rock’n’Roll endgültig beerdigte.
    «Herr Kulenkampff?», sagte die Stimme, die zu den Schuhen gehörte. Kuli hörte auf zu spielen und schaute hoch. Da stand Frau Gutschmidt und starrte auf ihn herab. «Oh Gott, das tut mir so leid», stammelte sie und schlug die Hände vors Gesicht. «Herr Kulenkampff», wiederholte sie fassungslos und schien den Tränen nahe.
    «Frau Gutschmidt», sagte Kuli eilig. «Das muss gar nicht … es ist nicht so, wie Sie denken. Wirklich.»
    «Warum haben Sie denn bloß gekündigt?», fragte sie und wollte sich gar nicht beruhigen. «Möchten Sie eine Stulle? Ich kauf Ihnen eine. Soll ich mit dem Herrn Kletzke noch mal reden? Wollen Sie sich das nicht überlegen? Ich meine, Sie jetzt hier so, das ist ja furchtbar. Das ist der Grund, warum ich da bleibe und das alles … Ich habe wirklich viel erlebt, das muss ich schon sagen, aber so tief … Und so schlecht haben Sie das doch gar nicht gemacht mit dem Telefonieren.»
    «Ja, danke, Frau Gutschmidt, aber es ist alles in Ordnung. Ich komme zurecht, wirklich», sagte Kuli, der sehr bleich geworden war.
    «Und wie Sie aussehen», ereiferte sich seine ehemalige Kollegin. «Nehmen Sie etwa Drogen? Trinken Sie? Herr Kulenkampff!»
    Kuli machte ein entsetztes Gesicht. «Nein, nein, Frau Gutschmidt, wirklich nicht. Ich nehme nicht … das ist hier alles nur Spaß.»
    «Was heißt denn hier Spaß, das ist ein ganz, ganz schlimmer Abstieg!», rief sie schrill.
    «Ist es nicht», schrie Kuli zurück. «Verdammt noch mal, jetzt ist aber mal Ruhe im Karton!»
    Frau Gutschmidt verstummte und war tödlich beleidigt. Sie öffnete die Handtasche und holte ihr Asthmaspray heraus. Kuli machte eine ausladende Geste. «Bitte, Frau Gutschmidt. Ich habe eine Wette verloren und muss jetzt fünf Stunden am Stück hier spielen. Das ist alles.»
    «Eine Wette?»
    Kuli sah, wie es in ihr arbeitete.
    «Ja, eine Wette.»
    «Verstehe», sagte Frau Gutschmidt und packte ihr Spray wieder ein. «Sie sind ein Schönredner, Herr Kulenkampff. Aber ich verstehe das. Ich könnte morgens gar nicht aufstehen ohne.»
    Sie zückte ihre Geldbörse.
    «Nein, Frau Gutschmidt», sagte Kuli.
    «Doch, doch, doch», entgegnete sie. «Keine Widerrede.»
    «Ich nehme doch kein Geld von Ihnen!»
    «Keine Widerrede, habe ich gesagt!»
    Sie legte einen Euro in die Tasche.
    «Ein Euro?», fragte Kuli ungläubig.
    «Nun mal nicht maßlos werden, junger Mann», schnappte sie. «Mein Geld ist hart erarbeitet und wächst nicht auf den Bäumen. Gehen Sie los und suchen Sie sich eine richtige Arbeit. Sie sind doch noch so jung, na ja, einigermaßen, Herrgott noch mal.»
    Und damit ging sie an Kuli vorbei und verstaute ihre Handtasche in einem der Schließfächer. «Ich geh einkaufen», erklärte sie Kuli ungefragt. «Da schlepp ich die doch nicht mit mir herum.»
    Sie warf ihm einen letzten, etwas abfälligen Blick zu und ließ ihn sitzen. Kuli seufzte. Spätestens

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