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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Stricker
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den ganzen Laden hier in ein paar Minuten räumen lasse.»
    «Oh mein Gott», hauchte die Frau und zog den kleinen Friedrich an sich heran.
    «Wie heißen Sie?», fragte Paul.
    «Tessa Grunicke», sagte sie, ihre Knie zitterten.
    «Gut, Charlotte», lächelte Paul ermutigend.
    «Tessa.»
    «Richtig. Sie gehen jetzt ohne Hektik und in aller Ruhe mit Ihrem fabelhaften Sohn einfach wieder aus dem Laden. Sie verlassen den Bahnhof durch den Vordereingang, laufen mindestens zwei Kilometer und lösen keine Massenpanik aus. Verstanden?»
    «Verstanden», sagte Tessa, die nicht einmal ansatzweise Charlotte hieß.
    «Und meine Geldbörse schicken Sie mir bitte mit der Post», ergänzte Paul im selben, ruhigen Tonfall.
    «Verstanden», wiederholte Tessa, drehte sich zur Tür und zog ihren Sohn hinter sich her. Der kleine Friedrich ließ ihre Hand noch einmal los und streckte Paul zum Abschied die Zunge heraus. Paul grinste, dann stellte er dem Jungen mit der Eleganz, Geschwindigkeit und Leichtigkeit des Erwachsenen ein Bein. Fritze schlug der Kürze nach hin und fing augenblicklich an zu weinen.
    «Jetzt halt doch mal die Klappe und komm mit. Das reicht mir jetzt aber auch», zischte seine Mutter, die das Geschehen nicht so genau mitbekommen hatte, und nahm ihren Spross so ruckartig auf den Arm, dass der kleine Friedrich sich erst recht den Tränen hingab. Dann eilten sie aus dem Laden und waren nicht mehr gesehen.
    Paul lächelte zufrieden und sah sich um. Niemand hatte ihren Disput beachtet, alle waren mit sich selbst und ihren Zeitungen beschäftigt. Das war es, was er an Berlin so liebte.
    Sein Handy klingelte. «Er ist weg», sagte Kuli. «Hat ein Taxi genommen.»
    «Gut», erwiderte Paul. «Ich hole jetzt den Schlüssel und die Tasche. Du haust ab. Wir treffen uns in zwei Stunden bei Henk.»

    K uli rührte in seinem Kaffee und wartete auf Paul. Es war Viertel nach zwölf. Aus den Boxen dröhnten wie üblich Gitarrensalven und ein heftiges Grunzen in einer ihm unbekannten Sprache. Wahrscheinlich war es wieder finnisch, die unartikulierten Laute hätten aber genauso gut auch aus dem Tierreich stammen können. Er hatte diverse Umwege genommen, um hierher zu gelangen, hatte sich mehrfach vergewissert, dass ihm auch wirklich niemand folgte, erst dann hatte er sich getraut, das Café zu betreten und sich eine körperliche und emotionale Pause zu gönnen. Von Paul hatte er seit zwei Stunden nichts mehr gehört; er hatte keine Ahnung, ob alles glatt gegangen war, ob Paul das Geld bekommen hatte oder ob er verhaftet, überfallen oder ausgeraubt worden war. Er seufzte und hob den Finger. Henk schlurfte zu ihm herüber. Kuli war der einzige Gast, und die Tatsache, sich allein mit Henk, dem Wiedergänger des Piraten Ragetti, in einem Raum zu befinden, steigerte nicht gerade Kulis Wohlbehagen.
    «Was?», fragte Henk in provozierendem Ton.
    «Kaffee», sagte Kuli. «Bitte.»
    Henk knurrte etwas Unverständliches und schlurfte wieder davon. Heute war er ganz in Zivil gekleidet, das hieß in seinem Fall Motorradkluft und Moonboots. Keine peinliche Schürze, kein peinliches T-Shirt. Vielleicht machte er den Laden ja gleich dicht und folgte seiner wahren Bestimmung als Ghost Rider , wenn nicht bald mehr Kundschaft kam, dachte Kuli und seufzte.
    Es wurde halb eins, es wurde Viertel vor eins. Keine Spur von Paul. Henk hatte bereits die dritte Runde Kaffee gebracht und knallte Kuli nun eine ganze Kanne auf den Tisch. «Ich bin doch nicht bescheuert», motzte er und ging kopfschüttelnd zurück in die Küche, Kuchen backen, vermutete Kuli, zumindest waren Hände und Ledermontur voller Mehl.
    Kuli versuchte zum x-ten Mal, Paul telefonisch zu erreichen, doch vergebens. Es ging immer nur die Mailbox ran. Wo steckte der bloß? Er rief Sophie an.
    «Wie ist es gelaufen?», fragte sie vergnügt und mit deutlich mehr Abenteuerlust in der Stimme, als Kuli sie jemals hätte empfinden können.
    «Weiß ich nicht», antwortete er. «Paul ist nicht da. Hat er sich bei dir gemeldet?»
    «Nein», sagte Sophie und «Kannst du nicht besetzen. Trinkt», ergänzte sie.
    «Paul?», fragte Kuli.
    «Quatsch», lachte Sophie. «Entschuldige, war beruflich. Ich bin eigentlich in einer Besprechung.»
    «Aber wo ist der denn?» Kuli quälte sich mit allen möglichen Horrorszenarien.
    «Vielleicht ja mit dem Geld abgehauen», sagte Sophie leichthin.
    «So ein Quatsch!», fauchte Kuli. «Paul doch nicht. Doch nicht Paul!»
    «Natürlich nicht», bestätigte Sophie.

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