Schlecht aufgelegt (German Edition)
Bürger ist in Wirklichkeit vielleicht gar nicht so friedlich, der ist vielleicht total gewalttätig.»
«Der Fernseher!» Kuli hob den Zeigerfinger.
Paul nickte. «Und die gebrochene Nase. Vor allem die gebrochene Nase!» Er verspürte plötzlich einen seltenen Anflug von Aufregung, von lange vermisstem Spaß. «Sie hat Angst vor ihm und glaubt, ihr Leben ist in Gefahr. Sie nimmt deine Visitenkarte, sieht, dass du tatsächlich nicht weit weg wohnst, und steckt dir das Foto in den Briefkasten. Damit du handelst, wenn ihr was passiert. Sie geht wieder nach Hause, und tatsächlich: Bumm! Da ist er!»
Jetzt war er komplett in seinen eigenen Film abgetaucht. Er, Paul Uhlenbrock, war Martin Scorsese, Henning Bürger wurde von Robert de Niro gespielt, von einem zwanzig Jahre jüngeren Robert de Niro, Lisa Gerhard von Cameron Diaz oder vielleicht doch eher von Charlize Theron, aber der süßen, naiven Charlize Theron aus Im Auftrag des Teufels , nicht der furchtbar unansehnlichen Killerin aus Monster . «Sie stehen sich gegenüber, die Wohnung ist schon verwüstet, Bürger wird der Schaden, den er angerichtet hat, bewusst, er will sich vielleicht sogar entschuldigen, die Scherben beseitigen, aber Lisa Gerhard beleidigt ihn weiter, provoziert ihn, droht, zur Polizei zu gehen oder gleich zur Presse. Sie hat das Foto, sie hat vielleicht noch mehr Fotos, vielleicht hat sie ihr Liebesspiel sogar gefilmt, sie hat ihn in der Hand. Bürger sieht alles davonschwimmen, seine Karriere, seine Ehe, all die Talkshows, Schirmherrschaften und feinen Einladungen, er steht unter Strom, er hat einen Hang zu cholerischen Ausbrüchen, man darf ihn nicht reizen, nicht immer noch weiter reizen, er greift zu dem schwersten Gegenstand, den er finden kann. Eine böhmische Blumenvase. Er zieht ihr die Vase über den Schädel, vielleicht nicht in der Absicht, sie zu töten. Aber er will ihr weh tun. Sehr weh tun will er ihr. Lisa Gerhard stirbt. Henning Bürger bekommt Panik und rennt davon. Und wir haben jetzt das Foto!»
«Wow», staunte Kuli, als Paul eine Pause machte, um Luft zu holen. «Ist ja krass. Aber was wäre gewesen, wenn er nicht noch mal zurückgekommen wäre? Dann hätte ich das Foto ja trotzdem in meinem Briefkasten gefunden.»
Scorsese konnte kritische Fragen hinsichtlich seines Drehbuchs nicht akzeptieren. «Was weiß ich?», antwortete er mürrisch. «Vielleicht wäre sie hier aufgetaucht und hätte es dir wieder abgeschwatzt. Keine Ahnung. Oder sie wollte auf jeden Fall, dass die Sache auffliegt.»
Kuli nickte sinnierend. «Also zeigen wir das Foto diesem Kommissar Bernauer?»
Paul zuckte zurück, als wäre der Gedanke völlig abwegig. «Machen wir, ja», sagte er widerwillig und verspürte dabei eine tiefgreifende, innere Unzufriedenheit. Das war’s dann? Das war alles? Da hatte man den Schlüssel zur Macht in der Hand und sollte einfach wieder in die zweite oder dritte Reihe zurückkehren? Zurück in ein Leben, in dem man nicht relevant war? In dem es egal war, ob man Müller oder Meier oder Moldau hieß? In dem abends niemand auf einen wartete und morgens eigentlich auch nicht? Hier, dieses Foto, das war es doch, das war ihre Chance. Da konnte man mal mit den großen Fischen schwimmen, wer hatte schon dieses Glück, das musste man doch nutzen, zeigen, dass man da war, dass man was wert war, dass man Einfluss nehmen konnte aufs Weltgeschehen, dass man es diesen Arschlöchern mal zeigen konnte, und das waren natürlich Arschlöcher, die alle. «Aber wir reden hier von einem Politiker», hörte Paul sich sagen. «Dieses Foto ist reines Dynamit. Wir können doch da nicht einfach so reinmarschieren und sagen, Entschuldigung, der Herr Friedenspolitiker ist übrigens ein Mörder.»
«Nicht?», fragte Kuli und entfernte einen Fussel von seinem Pullover.
«Nein», ereiferte sich Paul leidenschaftlich. «Die machen uns doch fertig!»
«Wer, die?»
«Na, die alle!» Paul brüllte jetzt fast. «Presse, Polizei, Staatsschutz, BND und wie die alle heißen!»
«Staatsschutz?», fragte Kuli.
Paul beschloss, nicht länger auf Nachfragen einzugehen. «Wir brauchen Beweise», stellte er fest.
«Was denn für Beweise?»
«Wir machen das wie bei Watergate», sagte Paul und ballte die Fäuste. «Hier, Nixon und so. Die beiden Reporter. Die Unbestechlichen! Redford und Hoffman. Recherchieren, nachstellen, zack, zack, zack.»
«Guter Film», nickte Kuli anerkennend.
«Ja, sicher!», sagte Paul.
«Du spinnst trotzdem», sagte
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