Schlecht aufgelegt (German Edition)
stand in grüner, halb abgeblätterter Farbe über dem Schaufenster, ein paar Rosen und Gestecke warteten in Eimern vor der Tür auf Kundschaft. Kuli sah sich um. Die Decke der kleinen Zugangshalle war niedrig, es gab einen ranzigen Zeitschriftenladen, einen Ticketschalter der Berliner Verkehrsbetriebe und eben das Blumengeschäft. Es roch nach Urin und Bierpfützen, neben der Schwingtür stand ein bärtiger Mann undefinierbaren Alters und hielt seinen Hut auf. Kuli ging zu ihm hinüber und gab ihm einen Euro, dann betrat er das Geschäft. In diesem Moment fiel ihm auf, dass er gar keinen Plan hatte.
«Guten Tag», sagte er also erst einmal, weil ein guter Einstieg ja stets die halbe Miete war.
Eine brünette Frau, vielleicht Anfang dreißig, legte ein paar Schnittblumen beiseite und wischte sich die Hände an ihrer grünen Schürze ab. Dann kam sie auf ihn zu. «Guten Tag», sagte sie lächelnd. Kuli fiel auf, dass ihre Vorderzähne etwas schief standen. Sie gefiel ihm auf Anhieb. Er mochte das Unperfekte, vielleicht weil er selbst so unperfekt war. Sie sah etwas abgekämpft und verschwitzt aus, hatte keine Modelmaße, vielleicht etwas zu kurze Beine, vielleicht eine Idee zu viel Bauch, aber einige höchst attraktive Kurven, soweit Kuli das in der Kürze der Zeit beurteilen konnte, ohne allzu auffällig Maß zu nehmen. Ihre Haare trug sie zum Pferdeschwanz zusammengebunden, eine einzige Strähne fiel ihr in die Stirn, sodass sie immer wieder dagegenpusten musste.
«Ja … das riecht aber gut hier», sagte Kuli, weil er merkte, dass er jetzt etwas sagen musste.
«Stimmt», sagte sie selbstbewusst und nahm die Hände in die Hüften. «Kann ich Ihnen helfen?»
Ja, Hilfe, dachte Kuli. «Ach … einfach so einen Strauß … ich bräuchte so einen Strauß, hätte ich gern», stammelte er und zeigte auf irgendwas Gelbes und Oranges und Rotes.
«Gebunden? Oder lose?», fragte sie immer noch lächelnd, nur dass sich das Lächeln leicht verändert hatte und jetzt eher nachsichtig wirkte.
«Weiß ich nicht», sagte Kuli und hatte plötzlich eine Eingebung. Er senkte seine Stimme. «Ist für ’ne Beerdigung», ergänzte er bedauernd. «Ja. Traurig.»
Das Lächeln der Frau fiel in sich zusammen. «Oh … für eine … verstehe», sagte sie und wandte den Blick ab. «Also ein Gesteck.»
«Das nimmt Sie aber sehr mit», staunte Kuli und wunderte sich nur kurz über seine schauspielerischen Fähigkeiten. In Wirklichkeit war er jetzt angekommen in seiner Rolle, er wusste, was er sagen würde, was er behaupten würde, wie er investigativ vorgehen würde, Redford und Hoffman, die Unbestechlichen, zack, zack, zack.
«Ach … das ist nur … meine Kollegin ist vorgestern Abend gestorben», sagte die Blumenverkäuferin, hob die Schürze und schien sich damit eine Träne aus den Augenwinkeln zu wischen.
Kuli fielen fast die Augen aus dem Kopf. «Ihre Kollegin?», ereiferte er sich. «Jetzt sagen Sie bloß … darf ich fragen … wie heißt denn die?», fragte er und war offensichtlich zutiefst betroffen über den unglaublichen Zufall, der sich hier und jetzt anbahnte.
«Lisa. Lisa Gerhard.»
Kuli schlug die Hände über dem Kopf zusammen. «Das gibt’s ja nicht», rief er und wusste, ein Regisseur hätte ihm jetzt vielleicht einen Tick zu viel Theatralik vorgeworfen. «Für die kauf ich die Blumen! Ich wusste ja gar nicht, dass die hier … also dass das hier ihr Laden ist.»
Die Frau starrte Kuli mit großen Augen an. «Ja, das gibt’s doch gar nicht, Sie kannten sie?», staunte sie. «Der Laden hat uns beiden gehört.»
Kuli nickte, dann schüttelte er mehrmals den Kopf. «Ja, ja, wir waren so ein bisschen bekannt. Die Lisa und ich.»
«Wie heißen Sie denn?», fragte die Frau und lächelte ihn zaghaft an. Wirklich süß, das mit den schiefen Vorderzähnen, dachte Kuli.
«Ku…», begann er sich vorzustellen, als ihm im letzten, aber wirklich im allerletzten Moment auffiel, dass es vielleicht nicht ratsam war, seinen echten Namen zu nennen, dass sich das gegen ihn wenden konnte und er deshalb einen anderen Namen wählen musste, der mit K und U begann, denn das hatte er ja schon gesagt, und da blieb ihm in all der Eile nur der Notausgang in die Politik.
«…urt», führte er den Vornamen zu Ende. «Kurt Bieden…» Oh Gott, dachte er, er würde hier scheitern, an dieser Stelle schon, sogar diese Frau würde erkennen, dass er niemals so heißen konnte, dass das einer zu viel war, dass das alles nur Tarnung und ein
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